„Es gibt Alternativen zur Wachstumsstrategie“

WIRTSCHAFT Brauerei-Eigentümer Gottfried Härle versucht sein Unternehmen stabil zu halten, ohne immer mehr Bier zu produzieren. Der Verzicht auf Wachstum sei nicht nur ökologischer, sondern auch besser für den Betrieb und die Kunden, meint er

■ Mit Alternativen zum ewigen Wachstum beschäftigt sich die Konferenz „Alternativen denken. Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“, die das Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung und die Heinrich Böll Stiftung am 4. März 2015 veranstalten. In Diskussionen, Workshops und Gruppenarbeit soll am Beispiel kleiner und mittlerer Unternehmen hinterfragt werden, ob wachstumsneutrales Wirtschaften als Alternative zum ewigen Wachstum möglich ist.

■ Die Konferenz richtet sich an Akteure aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Wirtschaft; sie findet im Haus der Heinrich Böll Stiftung Berlin statt. Die Teilnahme ist kostenlos und eine Anmeldung über die Internetseite des IÖW möglich. (deu)

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Unternehmen, die nicht wachsen, sterben, heißt es. Sie aber propagieren, Ihre Firma müsse nicht größer werden. Warum ist Ihnen das wichtig?

Gottfried Härle: Weil ich im Wachstumsgebot eine falsche Zielsetzung sehe. Für uns kommt es in erster Linie darauf an, die Brauerei an die nächste Generation zu übergeben und langfristig zu sichern. Außerdem wollen wir den ökologischen Fußabdruck verringern. Beispielsweise sollen der Rohstoffverbrauch und die Abwasserbelastung sinken.

Seit wann betreiben Sie diese Firmenpolitik?

Seit über 20 Jahren. Für kleine Brauereien wie unsere – wir beschäftigen 30 Leute – halte ich diese Strategie auch für die einzig erfolgversprechende. Die Branche schrumpft, der Bierabsatz in Deutschland geht zurück. Wenn man die Produktion steigern will, muss man in einem harten Verdrängungswettbewerb mit niedrigeren Preisen gegen die Konkurrenz antreten oder Wettbewerber aufkaufen.

Wieso machen Sie das nicht?

Wenn wir die Preise senken, können wir nicht mehr kostendeckend produzieren. Und Übernahmen verbessern die Ertragslage kaum. Würde die Firma immer größer, könnten wir auch nicht so auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen, wie wir es heute tun. Einem Restaurant für die Feier am Abend noch schnell eine zusätzliche Schankanlage vorbeizubringen wäre dann illusorisch. Außerdem würden wir das gute Klima in der Firma aufs Spiel setzen. Heute kann jeder Mitarbeiter ohne Umwege direkt in mein Büro kommen. Das geht in großen Unternehmen nicht.

Halten Sie Wirtschaftswachstum in einem Land wie Deutschland für obsolet?

Unsere Wirtschaft wird in den kommenden Jahren an die ökologischen Grenzen des Ressourcenverbrauchs stoßen. Wenn wir das Klimaproblem in den Griff bekommen wollen, müssen wir wohl auch das Wachstum reduzieren. Diese Aussage bezieht sich aber nur auf reiche Staaten. In Südeuropa oder gar in Afrika sieht das anders aus. Dort mag höheres Wachstum weiterhin nötig sein, weil die Menschen ihre materiellen Bedürfnisse bisher nicht stillen können.

Wie sieht es konkret aus, wenn Sie auf Wachstum verzichten?

Seit vielen Jahren produzieren wir annähernd die gleiche Menge Bier. Allerdings nimmt die Herstellung alkoholfreier Biogetränke zu – unser zweites Standbein. Das ist nötig, weil Alkoholkonsum zunehmend zu einem Problemthema wird.

Die Produktionskosten für das Brauen von Bier steigen, die Rohstoffe werden teurer. Ihre Beschäftigten wollen auch mal eine Lohnerhöhung. Wie finanzieren Sie diese Zusatzausgaben, wenn der Bierausstoß stagniert?

Wir erhöhen die Preise.

Warum machen Ihre Kunden das mit?

■ Der 60-Jährige ist Miteigentümer und seit 1982 Geschäftsführer der Brauerei Clemens Härle in Leutkirch, Allgäu. Das Unternehmen gehört seit 120 Jahren der Familie. Es arbeitet profitabel.

Wir müssen sie immer wieder davon überzeugen, dass sie bei uns Qualitätsprodukte bekommen. Wir verwenden Rohstoffe, die möglichst aus der Region stammen. Die Umweltbelastung ist gering, das Betriebsklima angenehm. Die Hochwertigkeit und Authentizität der Produkte muss dazu führen, dass die Kunden bereit sind, für einen Kasten Bier von Härle 7 Euro mehr auszugeben als beispielsweise für eine Kiste Bitburger.

Wenn Sie die Preise anheben, steigt der Umsatz. Auch Sie kommen also nicht völlig ohne Wachstum aus.

Ich will in meinem Unternehmen aber keine Wachstumszwänge aufbauen. Deshalb verzichten wir auf Investitionen, die die Produktionskapazität stark erhöhen. Unsere neue Abfüllanlage schafft nur die 8.000 Flaschen pro Stunde, die auch die alte bewältigte. Wäre es das Doppelte, hätten wir viel höhere Kosten für Abschreibungen und Zinsen. Um die hereinzuholen, muss man mehr und mehr verkaufen – ein Teufelskreis.

Wäre Ihre Strategie auch auf große, weltweit agierende Konzerne wie beispielsweise VW anwendbar?

Natürlich gibt es Alternativen zu den Wachstumsstrategien, die Großunternehmen praktizieren. Fusionen schlagen nicht selten fehl. Sie verursachen hohe Kosten, bringen aber keine zusätzlichen Gewinne. Denken Sie an Daimler und Chrysler oder BMW und Rover. Oft stellt Wachstum keine wirtschaftliche Notwendigkeit dar, sondern entspringt einem betriebswirtschaftlichen Dogma. Dieses wird noch immer an den Universitäten gelehrt, wie mir Studenten immer wieder bestätigen. Besser wäre es dagegen, den zukünftigen Managern auch beizubringen, wie sie Firmen unter den Bedingungen von Stagnation und Schrumpfung langfristig fortführen können.