Hafencity trägt Seide

Die Hafencity zeigt bereits ein reges Nachtleben: Massen von Spinnen treten an den Fassaden auf und verunstalten die Gebäude mit ihrem Kot

VON JAN WEHBERG

Die neue Hafencity in Hamburg wird von einem ziemlich alten Problem heimgesucht: Ungeziefer. Die Fassaden der modernen Wohn- und Geschäftsbauten sind mit Insektenresten und hässlichen weiß-gelblichen Tupfern übersät. „Die meisten wissen gar nicht, dass es Spinnenkot ist“, sagt die Biologin Anja Nioduschewski. Sie erforscht das Phänomen des massenhaften Auftretens der Spinnen innerhalb einer Doktorarbeit an der Universität Hamburg. „Wissenschaftliche Expertise über die Reduzierung von Spinnenbefall in der Hafencity Hamburg“ lautet der Titel des Projekts, dass von der Hafencity Hamburg GmbH und einem privaten Unternehmen finanziert wird.

Nachts seilt sich die 29-jährige Nioduschewski an den Wänden ab, um die nachtaktiven Tiere zu untersuchen, zu zählen oder einzufangen. Es ist die Brückenspinne, Larinioides sclopetarius mit wissenschaftlichem Namen, die hier zu Hause ist. Sie ist gelblich- bis rotbraun, behaart und mit rund einem Zentimeter Körperlänge etwas kleiner als die bekannte Gartenkreuzspinne. In ganz Mitteleuropa ist sie heimisch und tritt in Gewässernähe an Felsen und inzwischen auch gern an Gebäuden auf. Synanthropie nennt man diese Anpassung an den menschlichen Siedlungsbereich. Die Brückenspinne ist dafür ein gutes Beispiel. „Sie sind die Ratten unter den Spinnen“, sagt die Biologin Nioduschewski. Die Spinnen folgen einem neuen Wohntrend. Die großen Flächen und vielen Hauswinkel, die entstehen, wenn die Menschen zum Leben und Arbeiten ans Wasser ziehen, bieten hervorragende Möglichkeiten für den Bau der großen Radnetze.

Insekten gibt es in Hülle und Fülle in der Hafencity, da die Gewässernähe für gute Brutmöglichkeiten sorgt. Außerdem werden – und hier liegt das Hauptproblem – die Beutetiere durch das Licht der Strahler und Lampen an den Gebäuden angelockt, so dass immer für ausreichend Nahrung bei den Spinnen gesorgt ist.

Die bedanken sich für die optimale Versorgung mit hohen Reproduktionsraten und dementsprechend vielen Netzen. Dabei kommen den Gliederfüßern zwei besondere Eigenschaften zugute. Die Spinne lebt mit anderen Spinnen ihrer Art vergesellschaftet, akzeptiert also die enge Nachbarschaft der Artgenossen. Dies ist bei vielen anderen Spinnenarten nicht der Fall, aber wichtige Voraussetzung für das massierte Auftreten. Zweitens zeigt die Spinne einen auffälligen, direkt an die ökologischen Bedingungen adaptierten Rhythmus. Im Gegensatz zu anderen Spinnenarten paart sie sich nicht nur einmal im Jahr, sondern immer wenn die Umstände günstig sind. Bei ausreichendem Futterangebot und günstigen, also warmen, Klimabedingungen, paart sie sich mehrfach und kann bis zu 1.500 Nachkommen im Jahr haben. Die schnellere Rhythmik verbraucht allerdings die Ressourcen der Spinne, so dass sie gerade unter guten Lebensumständen früher, dass heißt nach etwa sieben Monaten, stirbt. Live fast – die young im Spinnenreich.

Diese Zusammenhänge konnte Anja Nioduschewski im Labor des Biozentrums Grindel erforschen, wo sie die Tiere hält. Als nächsten Schritt möchte sie gern herausfinden, wie die Plage in den Griff zu kriegen ist. Möglicherweise lassen sich die Sexuallockstoffe der Weibchen, die Pheromone, synthetisieren und so Fallen für die Männchen anfertigen. Aber sie sucht auch nach Lichtfarben, die weniger Insekten anlocken. Sollte sie fündig werden, würden sich zumindest die Mieter freuen.