Abdallah will in die Nachrichten

SOZIALPROJEKT Ehrenämtler bieten an der Richard-Schule Lernen und Spaß. Grundschüler begeistert das, und es weckt Wunsch nach mehr

■ … heißt das Projekt der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, zu dem der Knowledge Club der Berliner Richard-Grundschule gehört. Lichtpunkte will den Einfluss von Armut auf Schulmilieus mindern. Drei Seiten kooperieren: der Staat und die RWE-Stiftung als Sponsoren, die Kinder- und Jugendstiftung als Ausrichter. Die nächste Ausschreibung für Lichtpunkte in NRW endet am 18. 11. 2011

lichtpunkte.info

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Abdallah ist zwar der König des Richardkiezes. Aber jetzt hat er nur noch einen Wunsch. „Ich will, dass die unsere Nachrichten ausstrahlen.“ Die, das ist der MDR, bei dem der Junge die Neuigkeiten des Tages jüngst in einem Studio aufgenommen hat. Und Abdallah, das ist ein 10-jähriger Junge. Ein Dreikäsehoch, der im richtigen Leben Omar heißt und mutig vor 50 Leuten im Klassenzimmer Nachrichten fordert.

Dabei hat Omar/Abdallah das gar nicht nötig. Denn er ist seit einigen Wochen ein Filmstar. Im „Lottokönig Abdallah“ spielt er die Hauptrolle in einem richtigen Film. Er gewinnt darin drei Millionen Euro im Lotto, merkt es aber zunächst nicht. Der Film ist ein kleiner Krimi, der für die Kinder eine betörende, fast kitschige Lehre bereithält. „Die Leute sagen immer, Geld regiert die Welt“, sagt Jungschauspielerin Fathia (11). „Dabei stimmt das gar nicht. Wenn man glücklich werden will, muss man teilen.“

Im dritten Stock der Berliner Richard-Grundschule wird gerade der Film und das Lernprojekt „Knowledge Club“ ausgezeichnet. Mit Fathias Worten ist auch dem Letzten klar geworden: Das kleine Knowledge-Sozialprojekt ist ein Erfolg. Es begeistert die multikulturellen Steppkes aus der Richard-Schule ganz offensichtlich. Sie liebäugeln damit, Filmstars zu werden. Und zugleich vermittelt der Nachmittagskurs Werte: Die Schüler loben die Konzentration, sie versprechen nicht zu stehlen und zu schlagen, sie sind überzeugt, dass man teilen muss.

Mit ins Leben

„Die Kinder nehmen aus dem Knowledge Club viel mit in ihr Leben“, ist Schulleiterin Marita Stolt überzeugt. „Das kann ihnen niemand mehr nehmen. Sie sind viel selbstbewusster geworden.“

Was ist dieser Knowledge Club, der im fernen Neukölln, genauer in Rixdorf, in eine 94-Prozent-Zuwanderer-Schule Film und Basketball, Fische sezieren, Hausaufgabenhilfe und 16 weitere Arbeitsgemeinschaften trägt? Der Club wird von Anna Vatankhah geleitet, einer Sonderpädagogin und Absolventin von Intercultural Education. Mit Anna machen rund 40 StudentInnen und HelferInnen bei Knowledge Club mit – ehrenamtlich. Sie bekommen kein Geld, sie bereiten die Nachmittagsangebote für rund 100 Schüler gratis vor. „Die Schüler rennen uns die Bude ein“, sagt Vatankhah. „Wir werden hier wirklich gebraucht.“

In Neukölln-Rixdorf kann man besichtigen, wie hilflos der Staat ist, einen wirklich gelingenden Lernprozess in seinen Krisenschulen zu organisieren. In der Richard-Schule fällt viel Unterricht aus. Reformen, Hoffnungslosigkeit – und ganz am Ende irgendwann Unterricht. Es wäre gar nicht daran zu denken, dass die ausgepowerten Lehrer nachmittags ihre 6- bis 12-Jährigen bespaßen. Das machen also die Ehrenamtlichen Oliver, Marie, Gitanjali und so weiter.

Sie wissen schon, dass sie sich politisch auf ein Hasardspiel eingelassen haben: Helfen sie dem Staat, eine Aufgabe zu wuppen? Oder ermuntern sie die Landesregierung, sich noch weiter aus der öffentlichen Aufgabe Bildung zurückzuziehen? Keiner weiß es. Es ist den jungen Leuten egal. Ihnen macht es Spaß. „Man bekommt von den Kindern viel zurück“, sagt die Deutsch-Inderin Gitanjali. „Ich wohne am Richardplatz, ich will mithelfen.“

Gequetschte 45 Minuten

Die Geschichte vom Lottokönig Abdallah am Richardplatz ist die Geschichte einer Öffnung der Schule. Bevor Anna Vatankhah vom Hamburger Verein Bildung ohne Grenzen (Bildog) ihr Projekt in Berlin startete, wandte sie sich an viele Schulen. Nicht viele meldeten sich zurück, manche spät. Schulleiterin Marita Stolt rief sofort zurück: „Kommen Sie vorbei, das schauen wir uns an.“ Seitdem sind Stolt und Vatankhah ein Team. Stolt unterstützt den Knowledge Club, wo sie kann. Sie weiß, dass sie diese Kreativität in den gequetschten 45 Minuten ihres Fachunterrichts nicht hinbekommt.

Und Vatankhah tut der Rektorin dafür den Gefallen, ihr mit immer neuen Ideen auf die Nerven zu gehen. Inzwischen ist ein Projektdreieck entstanden: Bildung ohne Grenzen verwaltet die Mittel des Bildungspakets, zu deutsch: organisiert und gibt die Nachhilfen, die aus diesen absurd bürokratischen Bundesmitteln bezahlt werden. Bildog hilft auch, den Dialog zwischen Rixdorfer Schulen in Gang zu setzen. Warum macht die 31-jährige Vatankhah das? Wollte sie nicht Sonderschullehrerin werden? Ja, wollte sie. „Mir macht es auch Spaß, mit Kindern zu arbeiten“, sagt sie. „Aber man kann von außerhalb viel mehr bewirken.“

Vatankhah ist eine engagierte Frau, um die ständig ein Schwarm Kinder herumwuselt. Anna hier und Anna da. Sie könnte auch Lehrerin sein und täglich x mal 45 Minuten Unterricht geben. Aber sie geht lieber zu den Fortbildungen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die den Knowledge Club fördert. Oder sie verhandelt mit der RWE-Stiftung, wie man das Projekt fortsetzen kann. Sie entzündet lieber freiwillige Helfer für jene Schule, die ein bisschen die ihre geworden ist. „Das Entscheidende ist, dass die Schüler selbst herausfinden, was sie machen wollen. Es gibt in diesem Projekt keinen Stillstand.“

Das stimmt gewiss, aber es stimmt auch nicht. Denn bezahlt werden muss auch der schönste Knowledge Club. Das hat die RWE-Stiftung übernommen, die wohltätige Tochter des Energieriesen, der 48 Milliarden Euro Umsatz im Jahr macht. Die RWE-Stiftung hat 20.000 Euro für das erste Jahr Knowledge Club zur Verfügung gestellt. Und fördert nun, dank des Films, noch ein weiteres Jahr. Und dann? „Wir werden bestimmt wieder Förderer finden“, sagt Vatankhah.

Es ist die neue Unwägbarkeit zwischen staatlicher Lernapparatur und fein dosiertem privatem Mäzenatentum. Anna Vatankhah und ihre Mitstreiter rocken die Schule am Richardplatz. Aber sie tun das nie mit letzter Sicherheit, ob und wie es weiter gehen kann.

Dafür wird es wohl keine befriedigende Lösung geben. Nur Omar weiß, wie man so etwas macht. Er nimmt den Koffer mit den drei Millionen Euro, als er ihn im Film endlich wieder zurückbekommen hat, und übergibt ihn seiner Schulleiterin Marita Stolt.

Damit kommt Omar alias Abdallah garantiert in die Nachrichten. „Wenn man glücklich werden will, muss man das Geld teilen und es verschenken.“