„Nicht die erste umstrittene Predigt“

RELIGION Der Radikalisierungsexperte Ahmad Mansour fordert eine innermuslimische Auseinandersetzung mit der frauenverachtenden Predigt in der Al-Nur-Moschee

■ 38, ist Psychologe und arbeitet bei Hayat, einer Beratungsstelle für Menschen, die sich salafistisch radikalisieren, und für ihre Angehörigen. Der Palästinenser lebt seit 2004 in Berlin.

INTERVIEW MALENE GÜRGEN

taz: Herr Mansour, nach Empörung über eine frauenverachtende Predigt hat die Neuköllner Al-Nur-Moschee bekannt gegeben, dieser Imam werde nicht mehr dort predigen. Eine glaubwürdige Distanzierung?

Ahmad Mansour: In vielen Moscheen Berlins könnte eine solche Predigt nicht gehalten werden. Nicht unbedingt, weil diese Meinungen nirgendwo geteilt werden, zumindest die ihnen zugrunde liegenden Rollenbilder sind durchaus verbreitet. Aber die meisten Gemeinden sind da diplomatischer, auch weil sie wissen, auf wie viel Empörung solche Predigten stoßen. Den Verantwortlichen in der Al-Nur-Moschee ist das egal, sie haben ihr Zielpublikum im Blick und wissen, dass solche Predigten dort Interesse finden. Jetzt im Nachhinein so zu tun, als habe man das nicht gewollt, ist unglaubwürdig. Das war ja auch bei Weitem nicht die erste umstrittene Predigt in dieser Moschee.

An welches Publikum richtet sie sich?

Fast ausschließlich an arabischsprachige und sunnitische Menschen, oft palästinensischer Herkunft, die in der ersten oder zweiten Generation in Deutschland sind. Unter den Berliner Muslimen insgesamt macht diese Gruppe einen sehr kleinen Teil aus.

Können Predigten wie diese zur Radikalisierung von Jugendlichen beitragen, oder sind Faktoren außerhalb der Gemeinden, etwa der Austausch im Internet, entscheidender?

Radikalisierung findet nicht im Internet statt, sondern im echten Leben. Da können solche Predigten tatsächlich wichtige Einflussfaktoren sein. Das Frauenbild, das dieser Imam vermittelt, ist absolut gängig bei radikalen Salafisten, das ist kein Einzelfall. Dass die Gemeinde so etwas zulässt, ist sehr problematisch. Man kann sagen, dass eine Gemeinde wie die Al-Nur-Moschee Radikalisierung begünstigt.

Ist es also ein Indiz für Radikalisierung, wenn junge Männer plötzlich beginnen, die Al-Nur-Moschee zu besuchen?

■ Am 23. Januar hatte der ägyptische Imam Abdel Moez al-Eila in der Neuköllner Al-Nur-Moschee eine Predigt gehalten, in der er Frauen jegliches Recht auf Selbstbestimmung abspricht. Unter anderem sagte er, eine Frau dürfe den Sex mit ihrem Mann unter keinen Umständen verweigern. Videos der Predigt sind auf den Seiten der Moschee zu finden.

■ Nachdem sich verschiedene PolitikerInnen empörten und der Türkische Bund Berlin Strafanzeige stellte, gab die Gemeinde am Mittwoch bekannt, der seit Dezember in der Gemeinde predigende Imam werde dort keine Predigten mehr halten. (mgu)

Nein, das allein reicht noch lange nicht aus. Ich bin früher selbst, als ich religiöser war, zum Freitagsgebet in diese Moschee gegangen – das hat mit Radikalisierung noch nichts zu tun. Nur ist es eben so, dass diese Moschee zum Kreis der nach unseren Kenntnissen etwa zehn Gemeinden in Berlin gehört, in denen Jugendlichen, die solche Radikalisierungstendenzen haben, auf Angebote treffen, die diese verstärken – wie zum Beispiel die aktuell diskutierte Predigt.

Was ist dagegen zu tun?

Inwiefern man dieser Predigt strafrechtlich begegnen kann, kann ich nicht beurteilen – ich bin kein Jurist. Aber auch neben dieser Möglichkeit gibt es viel zu tun: Es muss eine innermuslimische Auseinandersetzung mit solchen Äußerungen geben, etwa indem sich andere Gemeinden davon klar distanzieren, indem eine Debatte über diese Predigt geführt wird – das vermisse ich häufig, auch in diesem Fall. Außerdem ist es gerade beim Thema Frauenrechte essenziell wichtig, dass sich die Gemeinden, aber auch die Eltern zu Hause für die Vermittlung anderer Geschlechterbilder engagieren. An diesem Sonntag ist der zehnte Todestag von Hatun Sürücü – Predigten wie diese verbreiten genau das Frauenbild, das hinter solchen Morden steht.