„Wir reden über den Markt“

WOCHE DER KRITIK Frédéric Jaeger, Kurator einer unabhängigen Filmreihe, im taz-Gespräch

■ ist Gründer und Chefredakteur von critic.de, Lehrbeauftragter am Seminar für Filmwissenschaft der FU Berlin und Leiter medienpädagogischer Schulprojekte. In seiner publizistischen Arbeit befasst er sich mit Sachfragen der Filmkultur, u. a. in Beiträgen für die taz und den Freitag. Seit 2013 geschäftsführender Vorstand des Verbands der deutschen Filmkritik und Mitbegründer der „Woche der Kritik“.

INTERVIEW THOMAS GROH

taz: Die Berlinale ist der Hefeteig unter den Festivals: jährlich mehr Filme und Sektionen, dazu Alternativveranstaltungen. Braucht es da eine weitere Filmreihe?

Frédéric Jaeger: Eine weitere Berlinale-Reihe braucht es nicht. Aber eine unabhängige, von Kritikern kuratierte Reihe, die einen anderen Weg einschlägt als es Festivals mit ihren Statusfaktoren tun. Was zu dieser Unübersichtlichkeit geführt hat. Wir wollen da anders vorgehen, pointieren. Dabei geht es nicht darum, zu zeigen, wie man’s besser macht. Das wäre zu klein gedacht. Die Berlinale bestimmt die Regeln nicht, sondern reagiert auf die Mechanismen der internationalen Filmkultur. Diese Mechanismen wollen wir nicht hinnehmen, sondern zum Thema machen. Die Berlinale ist Symptom, nicht das Problem.

Welche Mechanismen sind das? Etwa das Statusobjekt „Weltpremiere“. Wir zeigen auch Filme, die bereits andernorts zu sehen waren, solange sie interessant sind. Auch das Bedürfnis, einen Ausgleich zwischen verschiedenen Publikums- oder Sponsoreninteressen zu schaffen, interessierte uns bei der Zusammenstellung nicht. Zur Eröffnung zeigen wir „Brûle La Mer“, einen auf 16-mm-Material gedrehten Essayfilm über einen tunesischen Flüchtling.

Passt doch prima zur Berlinale.

Wenn es sich um einen Themenfilm handeln würde, ja. Doch er versucht die Mechanismen des aktivistischen Filmemachens in eine produktive Form zu bringen, ohne auf Katharsis abzuzielen. Dazu zeigen wir Kevin B. Lees Videoessay über die Dreharbeiten und Marketing-Maschinerien von Michael Bays letztem „Transformers“-Film.

Was eint diese beiden Werke?

Beide lassen sich filmaktivistisch verstehen und verhandeln jeweils Fragen danach, wie man sich zu einem aktuellen, globalen Phänomen filmisch positioniert.

Die Woche der Kritik ist das erste Projekt der „aktivistischen Filmkritik“, wie es der Verband der deutschen Filmkritik vergangenes Jahr auf einem Flugblatt gefordert hat. Bislang bezieht sich Ihr Aktivismus noch sehr auf Filmkultur.

Film ist natürlich auch die Welt. Die Fragen an die Kinokultur sind letztlich auch politische. Unser Interesse ist geknüpft an eine Kritik an den vorherrschenden Marktmechanismen und deren Verinnerlichung. Da gibt es wenig Dissens, wenig Positionierung. Aber wir zeigen große Bereitschaft, das Spiel mitzuspielen.

Wo genau setzen Sie da an?

Wir wollen die Hintergründe offenlegen und diskutieren. Jeder Abend steht im Hinblick auf Kinokultur unter einem anderen Schlagwort – etwa Genre, Aktivismus, Provokation. Damit wollen wir Fährten legen und zu Streitgesprächen anregen – ohne vorab schon die richtigen Antworten parat zu haben.

In Ihrem Flugblatt kritisieren Sie, dass der aufregende Film zusehends in die Halböffentlichkeit der Festivals verschwindet. Ist ein weiteres Festival die Lösung?

Wir sind kein eigenes Festival, sondern eine Film- und Debattenreihe. Natürlich können wir mit unseren Mitteln nur Punktuelles leisten, aber das hoffentlich mehr als nur einmal und vielleicht auch nicht nur im Februar zur Berlinale.

Ein Tour-Modell? Oder gar als Verleih?

Konkrete Pläne gibt es da noch keine. Wir organisieren jetzt diese eine Aktion – bei der darf es natürlich nicht bleiben.

Ihr Auftritt ist souverän. Viele Regisseure kennt man aus Festivalkontexten. Das legt den Eindruck nahe, dass sich die Woche der Kritik dem Festival empfiehlt. Als mittlerweile integrierte Sektion blickt das Forum auf eine ähnliche Geschichte zurück.

Diese spätere Eingliederung hat dem Forum sicher geschadet. Früher dürfte es jedenfalls eine wichtigere Rolle gespielt haben. Insofern ist das für uns eher abschreckend. Die Unabhängigkeit ist ein Wesenszug der filmkritischen Tätigkeit. Die kann man als Grundlage nicht aufgeben.

Wenn Filmkritiker eine Filmreihe zusammenstellen – droht da nicht die Gefahr, dass am Ende eine erlesene Schmetterlingssammlung herauskommt?

Unsere Auswahlkommission ist sehr heterogen und verfolgt einen breiten Kinobegriff. Einer unserer Ansprüche war dabei, das Kino in seiner Vielfalt darzustellen. Weshalb wir auch viel Genre zeigen, etwa eine Romantic Comedy aus Hongkong …

… „Don’t Go Breaking My Heart“ von Johnnie To, ein Berlinale-Liebling

… und ein chinesischer Regisseur, der als Autor kreativ mit Genre-Regeln arbeitet. Was ihn mit dem Berliner Christoph Hochhäusler verbindet, dessen Verschwörungsthriller „Die Lügen der Sieger“ wir auch zeigen.