„Es muss geil sein“

Da draußen ist zu viel Buchhaltermusik. Das Label Louisville Records mag es lieber unkontrolliert und legendär. Zum dritten Label-Geburtstag ein Gespräch mit den Betreibern Yvonne und Patrick Wagner

Als Sänger und Gitarrist der legendären Berliner Band Surrogat verleiht sich Patrick Wagner in den 90ern den Status „gaG“, größer-als-Gott. Sein Gang durch die Institutionen verläuft einige Jahre mit dem Schicksal der Band parallel. 1993 ist er Mitbegründer des Berliner Indie-Labels Kitty-Yo, dessen erste Veröffentlichung wird die Surrogat-Single „Tick“. Mit Acts wie Peaches und Maximilian Hecker wird Kitty-Yo groß, doch Wagner verlässt das Label 2001 und wird A & R bei dem Universal-Unterlabel Motor Music, wo die fünfte und bis dato letzte Surrogat-Platte „Hell in Hell“ erscheint. Zusammen mit Yvonne Franken, die als Promoterin für Universal tätig ist, kehrt er dem Major 2004 den Rücken. Die beiden gründen ihr eigenes Label Louisville, für dessen Name der gemeinsame Sohn des Paars, Louis, Pate steht. Der weltumarmende Gestus der ersten Single-Veröffentlichung „Forsaken People Come To Me“ von Kissogram wird zum Programm. Zum familiären Verband des Labels zählen inzwischen Jeans Team, die Puppetmastaz, Naked Lunch, die junge Schweizer Band Navel und die noch jüngere Zwei-Mädchen-Band Jolly Goods. Yvonne und Patrick Wagner sind heute verheiratet und leben und arbeiten in Mitte. KÄPP

INTERVIEW CHRISTINE KÄPPELER

taz: Als Sie vor drei Jahren Louisville Records aus der Taufe hoben, veröffentlichte Patrick im Internet ein Statement: Sowohl bei Motor Music als auch bei Kitty-Yo habe letztlich die Angst regiert. „Und Angst ist das Gegenteil von Musik.“ Dabei steckten Sie beide ja selbst in einer klassischen Angstsituation: ohne feste Anstellung, mit einem zweijährigen Sohn, das ganze Kapital ins Label gesteckt. Haben Sie Louisville Records angstfrei gehalten?

Patrick Wagner: Wir haben total viel Angst. Man wäre verrückt, hätte man keine. Vor allem, wenn man eine Familie hat. Aber wenn es um Label-Entscheidungen geht, gehen wir trotzdem immer danach, was mit uns passiert, wenn wir eine Band live sehen. Bei Navel zum Beispiel. Am Anfang haben alle aus der Branche gesagt: „Ihr habt sie ja nicht alle, das wird nie was.“ Und jetzt hat sich das total gedreht, jetzt sagen alle, das wird das große Ding. Ich glaube, dass es auf jeden Fall gut ist, keinen Businessplan zu machen. Bei vielen Labels sitzen doch nur noch Buchhalter. Und so klingt dann vieles da draußen. Nach Buchhaltermusik.

Ihr Newsletter ist unübertroffen in Sachen Alarm schlagen. Gehört zu diesem „Feature dich selbst wie die Hölle“-Ding auch, dass Sie zum dritten Label-Jubiläum eine große Tour durch drei Länder abreißen?

Patrick: Im Prinzip ist es um Musiklabels ja gerade so bestellt, dass man jeden Monat eine Feier machen müsste. Wir machen jedes Jahr einmal so eine Aktion, eigentlich zur Popkomm, aber das ist total stressig geworden, deshalb sind wir dieses Jahr eben später dran. Mit Jolly Goods und Navel haben wir zwei neue Künstler, und der Kern des Labelgedankens ist ja, dass wir die mit Hilfe von Naked Lunch und Jeans Team, die ja doch schon größer sind, einführen und herzeigen.

Yvonne: Und dass wir mal einen eigenen Abend in der Volksbühne gestalten, das war so ein Traum von uns, als wir angefangen haben.

Da hat sich ja einiges getan: vom Provisorium „Zentrale Randlage“ in die Volksbühne, vom kleinen Label mit Berliner Acts zum kleinen Label mit Künstlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie geht es weiter?

Patrick: Navel werden eine Million Platten verkaufen, da bin ich von überzeugt. Alles nur eine Frage von Strategie, Intelligenz und Spaß. Dann würden wir das Haus hier kaufen und so Factory-mäßig mit Künstlern und Drogenabhängigen arbeiten. Aber nicht so ein Scheiß-Mitte-Galerie-Ding. Was Geiles, das du nicht kontrollieren kannst, wo seltsame Leute ein- und ausgehen. Reichtum, den gibt es im Musikgeschäft ja faktisch gar nicht, das ist ja immer ein virtueller, den man eh immer wieder in irgendwas investiert. Da ist es doch besser, etwas Legendäres zu machen. Das ist noch so eine alte Spinnerei aus Surrogat-Zeiten. In Deutschland gab es in den 60er dieses Label, Polygram. Die hatten die Idee: „Wir expandieren in die USA. Da ist so ein Typ, total super, wir geben dem Geld, und der soll dann ein Label machen.“ Casablanca Records hieß dann das Label. Die erste Veröffentlichung: „Saturday Night Fever“. Zweite Veröffentlichung: BeeGees. Dritte: Kiss. Vierte …

Yvonne: Diana Ross.

Patrick: Das musst du dir mal vorstellen. Innerhalb von eineinhalb Jahren diese Platten. Jede hat sich über zehn Millionen Mal verkauft. Die hatten ein Büro in L. A., da war es Pflicht, dass jeder Mitarbeiter einen Ferrari fährt. Und das Foyer war voller Sand und voller Palmen. Und jeden Tag kam der Koksdealer mit einem Kilo Koks da rein. Die Umsätze waren halt Wahnsinn. Das war das erste Label, das über eine Milliarde umgesetzt hat in einem Jahr. Da kommt dieser Typ, und es macht Rumms. Nach zwei Jahren hat Polygram mal nachgefragt, was denn eigentlich so los ist, und dann haben sie gemerkt, dass Casablanca 200 Millionen Dollar Verlust gemacht haben mit dem Label. Weil es damals diese Controller-Funktion noch nicht gab und man Quittungen so hin und her schickte. Daran wäre die Polygram, heute Universal, fast zugrunde gegangen. Sie haben bis 1990 das Zeug abbezahlt. Das Label wurde eingestellt, und der Typ hat dann gemeint: „Ich würde immer zwei Dollar ausgeben, um einen zu machen.“ Übertragen auf unseren bescheidenen Rahmen ist da echt was dran. Es muss rappeln, geil sein und Spaß machen.

Louisville Records feiern am Sonntag (30. 9.) ab 20 Uhr in der Volksbühne ihren 3. Geburtstag mit: Jeans Team, Naked Lunch, Navel und Jolly Goods