Neue Serie "Dexter": Antihelden wie wir (II)

Mit "Dexter" startet am Montag (22.55 Uhr, RTL2) eine US-Erfolgsserie, deren Protagonist nicht gerade ein Sympathieträger ist: Dexter Morgan ist ein gefühlloser Serienkiller.

Michael C. Hall als das "ordentliche Monstrum" Dexter. Bild: 2006 Showtime Networks Inc.

Wenn Dexter Morgan den Ort eines Verbrechens betritt, tut er dies mit der heimlichen Wertschätzung eines Connaisseurs. Die Muster der Blutspuren, die Anordnung der Leiche (bzw. ihrer Teile), die Präzision der Ausführung - die Analyse dieser Details gehört zu seiner Expertise als Forensiker der Polizei von Miami. Dexter ist Blutexperte; mit kunstvoll arrangierten Fädenmodellen rekonstruiert er am Tatort den Verlauf der Blutspuren und macht so den Tathergang im Raum sichtbar.

Doch die Faszination Dexters für die dunkle Seite des Menschen, sein Gewaltpotenzial, ist keineswegs professioneller Natur. Er sucht in den Spuren des Verbrechens weniger nach einem Täterprofil denn nach einer persönlichen Handschrift - wie die eines Künstlers, der mit Blut und Körperfasern seiner derangierten Fantasie auf unauslöschliche Weise Ausdruck verleiht. Dexter kann seine Bewunderung für solche Meisterwerke nur schwer verhehlen - er muss es schließlich wissen. Dexter ist selbst ein Meister. Kein Impulstäter oder Schlächter, sondern ein Pedant, ein absoluter Kontrollfreak, der jeden seiner Schritte aufs Genaueste plant. Ja, Dexter ist - so sagt er über sich selbst - ein ordentliches Monstrum.

Einen Serienhelden wie Dexter Morgan hat die Welt noch nicht gesehen. Dexter ist das große Andere: eine menschliche Hülle, zu keinem echten Gefühl fähig. Die zwischenmenschlichen Rituale, den sozialen Kitt einer Gesellschaft, hat er sich über Jahre mühsam antrainiert. Sie sitzen wie ein maßgeschneiderter Anzug und doch bleiben sie ihm fremd. Dexter Morgan gibt die perfekte Mimikry von all american-ness: gut aussehend, strahlendes Lächeln, eloquent (Seine Off-Kommentare, ein klassisches Noir-Stimittel, stecken voller selbstironischer Betrachtungen). Durch die gleichnamige, auf den Romanen von Jeff Lindsay basierende Serie läuft er wie eine teilnehmende Beobachtung. Der Handlungsort Miami spielt in dieser Konstellation eine entscheidende Rolle. Die heimliche Hauptstadt des "Sunshine State" ist mit ihren knallbunten Leuchtschriften und überfüllten Bars der ideale Jagdgrund für einen Trickser wie Dexter. Hier herrscht ein ständiges Missverhältnis zwischen äußerem Schein und innerem Sein. Alles ist eine Spur überzeichnet. Selbst die Toten sehen im gleißenden Sonnenlicht von Miami noch etwas toter aus.

Von Monstern wie Hannibal Lecter oder Patrick "American Psycho" Bateman unterscheidet sich Dexter durch sein hohes Reflexionsvermögen. Als Person, die sich täglich mit ihrer gesellschaftlichen Rolle maskieren muss, streift er grundsätzliche Fragen über das menschliche Wesen. Diese brechen offen zu Tage, als ihm ein anderer Serienmörder plötzlich Konkurenz macht. Der "Neue" stellt sozusagen die Antithese zu Dexter dar: Seine Opfer tötet er blutlos, ihre blassen Körperteile hübsch arrangiert wie die geschlechtslosen Puppen Cindy Shermans. Ein Gleichgesinnter, endlich. Er wird sich jedoch auch als bisher schwerster Prüfstein für Dexters strengen Ehrenkodex herausstellen.

In einem Amerika, das seine moralischen Kampfzonen weiterhin verbissen verteidigt, ist "Dexter" natürlich ein Fall für das Bezahlfernsehen. Sender wie HBO oder Showtime haben sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Biotop für abseitige Identifikationsmodelle entwickelt - seien es korrupte Bullen ("The Shield"), polygame Mormonen ("Big Love") oder drogendealende Hausfrauen ("Weeds"). Nicht zu vergessen unser allerliebster Mafiaclan, die "Sopranos". "Dexter" fällt selbst aus diesem Muster noch heraus, weil wir es hier mit einem Menschenexemplar zu tun haben, an dem jeder Versuch der Reintegration scheitern muss. Dexter ist über eine konventionelle Figurenidentifikation nicht mehr zu erschließen. Der Zuschauer betrachtet ihn von Außen, so wie auch Dexter sich nur äußerlich wahrnehmen kann. Es sind seine inneren Monologe, die den Zuschauer unmittelbar an dieser hochgradig verkorksten Gedanken- und Gefühlswelt teilhaben lassen.

Dieses Weltbild, das sein Gewissen ersetzt hat, wird ganz vom Ehrenkodex des verstorbenen Vaters, eines ehemaligen Polizisten, bestimmt: Töte nur die, die den Tod verdient haben. Trotzdem bleibt Dexter dem Zuschauer bis zum Ende so fremd wie es ein Serienmörder eben nur sein kann - auch wenn Michael C. Hall, der schwule Fisher-Bruder aus der HBO-Serie "Six Feet Under" es uns schwer macht, ihn nicht zu mögen. In den USA, wo seit gestern die dritte Staffel läuft, erfreut sich "Dexter" einer wachsenden Fan-Gemeinde.

RTL2 hat trotzdem gut daran getan, "Dexter" auf einen späten Sendetermin zu legen. Die kleinen expliziten Grausamkeiten, die das tägliche Geschäft des Forensikers mit sich bringen, inklusive einem großartigen Titelvorspann, der uns eine schöne Idee von einem Serienmörderfrühstück vermittelt, sind bei "Dexter" das Salz in der Suppe. Eigentlich kann der Sender - wider besseres Wissen - gar nichts falsch machen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Dexter auch die Herzen der deutschen Zuschauer im Sturm erobert.

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