Mit dem Stinkefinger gegen Italiens Politiker

Unter dem Motto „Leck mich am Arsch“ demonstrieren 50.000 Menschen in Bologna für das neue Gesetzesvorhaben „saubere Politik“. Initiator ist der Komiker Beppe Grillo. Der nimmt besonders die privilegierte Politikerkaste aufs Korn

ROM taz ■ Keine Partei, keine Gewerkschaft hatte zu der Kundgebung aufgerufen, keine italienische Zeitung, kein Fernsehsender hatte vorher berichtet. Und doch drängten sich am Samstag in Bologna mehr als 50.000 Menschen auf der Piazza Maggiore, um ihrer Wut über die politische Klasse Italiens Luft zu machen.

Eingeladen hatte der Komiker Beppe Grillo, der den 8. September zum „V-Day“ erklärte. Das V steht für „Vaffanculo“, auf Deutsch etwa „Leck mich am Arsch“, aber auch „Scher dich zum Teufel“. Der 59-Jährige, der auf seine Bühnenshows und seinen Internet-Blog – mit 160.000 Zugriffen täglich mittlerweile der meistgelesene Blog Italiens – setzt, hatte zu der Kundgebung eingeladen, um die Unterschriftensammlung für einen Gesetzesvorschlag zugunsten „sauberer Politik“ zu lancieren.

So sollen Vorbestrafte nicht mehr als Abgeordnete gewählt werden können (Italien hat 25 vorbestrafte Parlamentarier); in Zukunft sollen alle Abgeordneten direkt statt auf Parteienlisten gewählt werden; die Zahl der Wahlperioden soll für alle Politiker auf zwei begrenzt werden.

Aus diesem Vorhaben machte Grillo am Samstag eine mehrstündige Show. Mit dem Publikum schickte er einem Politiker nach dem anderen ein sonores „Vaffanculo“ hinterher, während die Zuschauer das V-Zeichen formten oder den Stinkefinger zeigten. Auch wenn die große Mehrheit auf dem Platz von der Linken kam, war die Kritik an den Politikern aus der Regierung besonders heftig – und spiegelte die Enttäuschung über die Regierung Prodi wider.

Grillo attackierte vor allem die „Kaste“ der Politiker, die jeden Kontakt mit der Wählerschaft verloren hätten – und traf damit den Nerv der Zuschauer. Seit Monaten ist das Buch „La casta“ des Journalisten Gian Antonio Stella der Bestseller im Land und hat eine Auflage von über 400.000 erreicht. Sein Inhalt: die Auflistung all jener Privilegien, die Italiens Politiker sich über die Jahre verschafft haben. Die haben bisher eine Standardantwort auf diese Anwürfe: sie seien „antipolitischer Populismus“. So unüberhörbar auch die populistischen Untertöne bei Grillo sind – er lobte sich, er habe in Bologna ein „Woodstock der Anständigen“ gegen „die Parteien, das Krebsgeschwür der Demokratie“, organisiert –, so hilflos ist doch diese Selbstverteidigung der politischen Klasse. Grillo war es ein Leichtes, sich über die Forderung aus dem Prodi-Lager lustig zu machen, die Bürger sollten „sich der Politik wieder annähern“. Stattdessen reklamierte er eine Politik, die sich wieder den Bürgern nähert. Allein am Samstag unterschrieben mehr als 300.000 Menschen an Ständen, die in allen Städten parallel zur Kundgebung in Bologna aufgebaut waren, für das Gesetzesvorhaben „saubere Politik“.

MICHAEL BRAUN