Der Sozialistenhammer

Hubertus Knabe kritisiert die Aufarbeitung der DDR-Geschichte so vehement wie undifferenziert. Er macht Politik statt seriöser Forschung

Hubertus Knabe erträgt es nicht: 17 Jahre nach den ersten freien Wahlen in der DDR ist immer noch nicht entschieden, „als was die DDR in die Geschichte eingehen wird“. Diesen Historiker scheint ein unbedingter Wille nach eindeutiger Botschaft zu treiben. Eine solche Aussage ist über Vergangenheit aber meist nur zum Preis geschichtspolitischer Verkürzung, pauschaler Urteile oder falscher Analogien zu haben.

Die Diktatur der SED sei „in Deutschland nach und nach mit einem verklärenden Schleier bedeckt“ worden. An diesem Schleier sieht Hubertus Knabe viele weben – verunsicherte Lehrer in den Schulen, der DDR-Geschichte gegenüber ignorante Universitäten, milde Richter, die „Täter ohne Strafe“ wieder freilassen; Historiker und Journalisten, „die lieber vom Alltag im Sozialismus als von den Unterdrückungsapparaten sprechen wollen“; Ostalgieshows oder Devotionalienhandel. Besonders aber die Geschichtspropaganda der PDS und ihrer neuen Formationen sei schuld daran, dass die DDR zunehmend schöngeredet werde.

Unbestritten verdient der Umgang mit der DDR als Geschichte und Erinnerung eine fortgesetzte öffentliche Kritik und Debatte. Für einen fruchtbaren Impuls hätte Hubertus Knabe allerdings auch auf die Argumente der Mitstreiter eingehen und weniger auf PDS und Staatssicherheit fixiert sein müssen. Statistik in Prosaform und Meinungsumfragen sind noch keine Analyse, suggestive Vergleiche und Analogien zum Nationalsozialismus verwischen entscheidende Unterschiede. Die selektive Bilanz des Leiters der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sucht nicht abwägende Aufklärung oder gar selbstkritische Reflexion, sondern will auf Deutungsmacht und Identitätspolitik hinaus. Hubertus Knabe möchte die Selbstbefreiung in der friedlichen Revolution zum „Kern einer neuen Identität“ machen.

Ist es denn schon Konsens, dass der Umbruch 1989 den Namen Revolution verdient? Wie viele der Ostdeutschen haben den Herbst 1989 und den Mauerfall tatsächlich als Selbst-Befreiung erfahren? Imre Kertész hat darauf hingewiesen, dass von vielen Osteuropäern die neue Freiheit kaum selbst erkämpft werden konnte und darum eher als ein Zusammenbruch erlebt worden ist.

Knabe zählt auf, wie die meisten der politisch Hauptverantwortlichen aus der DDR vor der bundesdeutschen Justiz mit relativ geringen oder ohne Strafen davonkamen. Er macht dafür vor allem Weichenstellungen von Bundestag und Bundesgerichtshof verantwortlich, analysiert aber kaum die gesellschaftspolitischen Hintergründe. War es 1991 nicht auch der Spiegel, der die DDR als ein KZ beschrieb und aus dieser mutwillig falschen Analogie auch noch die Forderung nach einer Generalamnestie für alle DDR-Bürger ableitete, weil man zwischen Opfern und Tätern ja doch nicht so recht unterscheiden könne? Solche Artikel dürften mehr relevante Leser gefunden haben als die zwanzig Rechtfertigungsschriften von ehemaligen SED-Funktionären, die Hubertus Knabe für sehr gefährlich hält.

Knabes Täterbegriff bleibt so vage wie pauschal und reicht von Erich Mielke über die IMs bis zu jedem Journalisten. Zwischen den Formeln Opfer und Täter gibt es eine seltsame Leerstelle im Bild vom totalitären Unrechtsstaat mit seinen Unterdrückungsapparaten. Die Menschen, die in Stasi-Haft gefoltert, jahrelang verfolgt und psychologisch „zersetzt“ wurden, sind heute „Opfer ohne Lobby“, meint Knabe. Doch: Hat der Bundestag im Juni ohne strategischen Rat von außen die Verbesserung der Renten für SED-Opfer beschlossen?

Schließlich die 18 Jahre alte These: „Die Stasi lebt“. Knabe schildert, wie sich ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes in Verbänden und Vereinen organisiert haben, um Strafverfahren abzuwehren, Renten aufzubessern und im männerbündischen Kameradenstolz ihre schöne alte DDR weiter hochleben lassen. Deren Zynismus ist in der Tat empörend, aber weder überraschend noch ein Verbrechen.

Geschichtspolitiker Knabe ruft gleichwohl noch einmal zum großen Angriff und schürt Emotionen, indem er auf eine pauschale Kriminalisierung von Kommunisten und Sozialisten setzt und den starken Staat verlangt – aus Angst, dass diese etwa 25.000 Männer mehr Einfluss aufs öffentliche Geschichtsbild gewinnen. Der Verfassungsschutz sollte sie überwachen und ihre Vereine und Stiftungen verbieten. Auch Symbole wie Hammer, Sichel und roter Stern müssten analog zum Hakenkreuz verboten werden.

Geschichte als Doktrin oder Staatsbürgerkunde – das erinnert auch an die DDR, die auf diese Weise vor allem große Teile ihrer Jugend verlor. Ein Beharren auf dem antitotalitären Konsens ist nur dann sinnvoll, wenn die Unterschiede zwischen nationalsozialistischer und DDR-Diktatur und ihrer jeweiligen Aufarbeitung nicht nur rhetorisch anerkannt werden. Stasi-Terror und Mauerschüsse sind auch qualitativ etwas anderes als der deutsche Vernichtungskrieg. Mit dem Betonen dieser Unterschiede verharmlost man weder die Verbrechen von Kommunisten noch werden die Verdienste von Dissidenten im Sozialismus in Frage gestellt. Es verlangt der Respekt vor den individuellen Lebensläufen, hier keine Gleichheitszeichen zu setzen.

Um sinnvoll vergleichen zu können, muss nicht nur weiter die tatsächliche Tiefenwirkung von Terror und Unterdrückung in der DDR untersucht werden. Es sollte auch verstärkt nach den Motiven, Gründen und gesamtdeutschen Kontinuitäten für Gleichgültigkeit, Sich-Arrangieren und hoffnungsfrohe Kollaboration mit den Mächtigen gefragt werden – statt die DDR mal rasch als „ein Lehrstück in Sachen Zivilcourage“ auf dem Markt der nationalen Identität zu etablieren. AXEL DOSSMANN

Hubertus Knabe: „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“. Propyläen Verlag, Berlin 2007, 384 Seiten, 22 Euro