Auf eine Joghurtsuppe mit Berlins Raupe Nimmersatt

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Zurück aus der Sommerpause darf es etwas Einmaliges sein – ein kurdisches Mahl mit TV-Gastrokritiker Manuel Werner

Niemand berichtet schöner über die Restaurants Berlins als Manuel Werner vom FAB. In seiner Sendung „ars vivendi“ werden keine Kritiken vom Stapel gelassen. Nein, jeder Bericht erzählt eine schöne Geschichte, die zufällig in einem Lokal spielt. Mit diesen Geschichten hat Werner eine große Fangemeinschaft gewinnen können, schließlich wird jede „ars vivendi“-Sendung in vier Wochen 16-mal ausgestrahlt. Dank der ständigen Wiederholungen erscheint der Moderator, Regisseur, Autor, Cutter, Produzent und mitunter auch Kameramann mit dem silbernen Haarschopf, dem Schnauzbart und der gepflegten Ausdrucksweise als omnipräsente Raupe Nimmersatt des Lokalfernsehens.

Mehr Frauen als Rolf Eden

Weil allein speisen jedoch trist sein kann, lässt er sich gern von Damen begleiten – mit dem Ergebnis, dass man ihn im Laufe der zehn Jahre, die „ars vivendi“ läuft, schon mit mehr Frauen als Rolf Eden gesehen hat. Einige der Damen sind TV-tauglicher als andere, alle aber scheinen den Abend mit Herrn Werner zu genießen. Als Zuschauerin, aber auch als Kritikerkollegin wurde ich im Laufe der Zeit doch neugierig: Wie ist ein Abend mit Manuel Werner wirklich? Wir treffen uns an einem lauen Augustabend im kurdischen Restaurant „Roj“ in Friedrichshain.

Zunächst plaudern wir unverbindlich bei einer Flasche Sprudelwasser. Wir warten, dass sich das Lokal füllt, und Werner erklärt die Idee der Sendung: Westberliner hatten in der Nachwendezeit keine Ahnung von der Restaurantlandschaft im Osten, diesen Missstand wollte er beheben. Das Ergebnis ist eine beruhigend vor sich hin plätschernde Ein-Mann-Show.

Kurz vor Drehbeginn schreitet Werner das Lokal ab, spricht mit dem Team, setzt sich, steht wieder auf. Gäste werden gebeten, sich ins Bild zu setzen. Wir sind auf Position, der Moderator nimmt ein paar kleine Korrekturen vor, um das „Roj“ wohlwollend ins Bild zu setzen. Es ist nicht ganz einfach. Zwar sieht das Lokal mit dem dunklen Parkettboden, der kurdischen Familie in Öl an der Wand, den französischen Fenstern und gemütlichen Sofaecken gut aus, doch es fehlen leider Gäste, die das Bild eines anheimelnden Restaurants abrunden könnten.

Werner richtet die Servietten auf dem Tisch aus und bittet um zwei identische Weingläser. Dann läuft die Kamera. Der Wein wird gebracht, Werner probiert, und es folgt die Geste, die in keinem Beitrag fehlen darf: Werner neigt den Kopf leicht zur Seite und nickt zustimmend. Großartig. Die Kamera hält an, Werner verbessert eine Einstellung, und es wird wieder gefilmt.

Nach der sehr guten Joghurtsuppe, die wir nur zur Hälfte essen, weil so viel anderes auf uns wartet, plant Werner schon den nächsten Take. Er steht auf und filmt den hervorragenden Vorspeisenteller für zwei persönlich ab, danach werden andere Gäste interviewt. Der mäßige Hauptgang wird nur angetestet, bald steht Werner – im wirklichen Leben sehr viel ernster als vermutet – auf und filmt die Küche ab. Soll ich den Teller stehen lassen? Die Frage erübrigt sich, denn noch vor dem Dessert soll unser Abgang in die Blue Hour nach der Dämmerung mit der Kamera festgehalten werden.

Mehr filmen als essen

Ich ahne, was es heißt, Tischpartnerin bei „ars vivendi“ zu sein. Oft sitzt man allein da, es wird mehr gefilmt als gegessen. Immer wieder lässt sich Werner hinter die Maske des bekannten FAB-Gesichts blicken, nur um dann wieder zu verschwinden. Er ist eben Vollprofi und ich lediglich das Accessoire.

Der Abend endet kurz nachdem die Scheinwerfer ausgeschaltet werden. Schade, ich hatte mir immer vorgestellt, Werner und die Tischpartnerin würden nach Drehschluss noch die große Sause machen. Dass es so aussieht, ohne so zu sein, spricht wohl für die Erzählkunst des Moderators. Auch deswegen sei die Sendung gern empfohlen.

RESTAURANT ROJ, Niederbarnimstr. 25, 10247 Berlin, U-Bahn Frankfurter Tor, Mo.–Fr. 16 bis 1 Uhr, Sa. und So. 10 bis 1 Uhr, Hauptgerichte ab 4,80 €, Cola 1,80 €, kleines Bier 2,30 €