Boykott in der Kreisklasse

In der Kreisklasse A der Bremer Fußballer führte Gewalt auf dem Spielfeld zu einem großen Krach. Nun wollen zwölf Mannschaften einen Verein boykottieren, weil der angeblich die Schläger deckt

Aus Bremen Klaus Wolschner

„Ich könnte gelähmt sein – oder auch tot.“ So beschrieb der Schiedsrichter René Jacobi seine Lage nach dem abgebrochenen Fußballspiel zwischen zwei Bremer Kreisklassen-Mannschaften, dem FC Mahndorf und dem SV Mardin am 10. Juni. Der Trainer des SV Mardin war nach einem Spielabbruch auf den unparteiischen losgegangen, es setzte Schläge, die Zuschauer mischten sich ein, ein Tumult entstand und der Schiri blieb bewusstlos am Boden liegen. Die Polizei musste anrücken.

Zwei Monate später schien alles wieder gut – der tätlich gewordene Trainer Cindi Tuncel, von Beruf Sozialarbeiter und als „Integrationsbeauftragter“ beim Landessportbund Bremen beschäftigt, hatte seine Arbeit nach zweiwöchiger Freistellung wieder aufgenommen. Auch die Linke, für die Tuncel im Stadtteilbeirat Osterholz sitzt, sah keinen Anlass, sich von ihm zu distanzieren: „Wir glauben ihm und vertrauen ihm“, sagt der Sprecher der Linken. Tuncel bestreitet, selbst zugeschlagen zu haben – er habe dem Schiri die Rote Karte und die Spielnotizen aus der Hand genommen, „das war mein Fehler“, sagt er, mit der darauffolgenden Gewalt habe er aber nichts zu tun. Gegen ihn wird das seither laufende Ermittlungsverfahren vermutlich eingestellt.

Allerdings machen nun die anderen Mannschaften aus der Kreisliga A Druck. „Nach eingehenden Debatten“ haben 12 von 14 Mannschaften beschlossen, dass sie „nicht zu den Punktspielen gegen den SV Mardin antreten“ werden und den Verein so boykottieren wollen. Begründung: Der SV Mardin verhalte sich „grob unsportlich“, weil er „weder durch Offizielle noch durch Spieler mithalf, die Umstände der schweren Gewalttaten während eines Spiels gegen den FC Mahndorf zu klären“.

Der Kreisspielausschuss hatte zunächst gegen die gesamte Mannschaft des SV Mardin eine Sperre für eine Saison verhängt, dies hatte das Sportgericht des Fußballverbandes aber als zu pauschal aufgehoben, da einzelne der Spieler sich auch vor den Schiri gestellt und weitere Gewalttaten ihrer Kameraden verhindert hätten. Das sieht auch das Opfer Jacobi so: „Es sind immer nur zwei, drei Idioten, die sowas machen. Diverse Spieler haben versucht, mich zu schützen.“

Seine Tätigkeit für den SV Mardin hatte Cindi Tuncel nach den Vorfällen niedergelegt. Der 30-Jährige war nicht nur Trainer, sondern auch Vorsitzender des ursprünglich kurdischen Klubs. Allerdings, betonte Tuncel, sei sein Rückzug längst geplant gewesen und stehe nicht im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 10. Juni. Der Landessportbund steht voll hinter seinem Integrationsbeauftragten: An seiner Arbeit gebe es „überhaupt keinen Zweifel“, sagt LSB-Geschäftsführer Klaus Peter.

„Wir waren wie vor den Kopf geschlagen – zum einen, als wir von der Brutalität – von wem auch immer – hörten, zum anderen, dass unser Mitarbeiter darin verwickelt gewesen sein soll“, sagte Peter. Die Vorfälle auf dem Sportplatz hätten aber mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun. Auch wenn Cindi Tuncel schon einmal wegen Tätlichkeiten auf dem Sportplatz aufgefallen war: Der Fußball-Verband hatte ihn bereits 2003 für ein Jahr aus dem Verkehr gezogen – ebenfalls wegen einer Handgreiflichkeit in Zusammenhang mit einem Spielabbruch.

Irgendwie müssen die Nerven mit ihm durchgegangen sein, sagt Cindi Tuncel heute. Dass sein Bruder als Spieler an dem vorangehenden Foul beteiligt gewesen war, habe keine Rolle gespielt. Die Schläger, sagt er, kamen möglicherweise aus dem Kreis der Zuschauer – Boykott-Drohungen gegen die Spieler kann er nicht nachvollziehen.

Der Konflikt dürfte jetzt wieder richtig losgehen. Denn wenn eine Mannschaft zu einem Spiel nicht antritt, hat das nach den Regeln des Fußballs zur Konsequenz, dass der anderen Mannschaft alle drei Punkte zugesprochen werden. Wenn zwölf von 14 Mannschaften der Kreisliga A den SV Mardin boykottieren – dann wird der boykottierte SV Mardin unweigerlich erster in der Tabelle. Jacobi, das Opfer, ist übrigens gegen den Boykott. Beim SV Mardin sei „eine völlig neue Mannschaft angetreten, die sich definitiv von den Geschehnissen losgesagt hat und einfach nur Fußball spielen will“.