Deutsche Geschichte im Kino: Die neue Naivität

"Der Untergang", "Das Wunder von Bern", nun auch "Anonyma": Jüngere Filme zur deutschen Geschichte lieben den Fetisch Authentizität - und vermeiden jede ästhetische Anstrengung.

Uniform und Strickjacke sind garantiert authentisch. Filmszene aus "Anonyma". Bild: constantin

Am Ende des Films "Der Untergang" verlässt Traudl Junge, die junge, naive Sekretärin Adolf Hitlers, den Führerbunker. Hitler ist tot, Berlin von der Roten Armee besetzt. Die Schauspielerin Alexandra Maria Lara leiht der Sekretärin Gestalt und Rehaugen. Wenn sie durch ein Spalier sowjetischer Soldaten schreitet, einen kleinen Jungen an der Hand, dann stecken viel Unheil, viel Drohung in dieser letzten Szene. Sie hat etwas Raunendes, sie spielt damit, dass der Zuschauer etwas weiß, was die Filmfigur nur ahnt.

Viele Frauen, die den Krieg überlebten, wurden von Angehörigen der Roten Armee vergewaltigt. Die letzte Einstellung legt nahe, dass dieses Schicksal auch Traudl Junge treffen könnte. Der 8. Mai 1945 steht hier nicht für die Befreiung vom Faschismus, sondern für den deutschen Opfergang.

"Anonyma - Eine Frau in Berlin", der jüngste Film der Münchner Produktions- und Verleihfirma Constantin, knüpft nun dort an, wo "Der Untergang", ebenfalls eine Produktion der Constantin, aufhört. Der Film basiert auf den Tagebuchaufzeichnungen einer anonym bleibenden Frau, die das Kriegsende in Berlin erlebt. Ende April, Anfang Mai 1945 wird sie mehrmals von sowjetischen Soldaten vergewaltigt.

Um der Gewalt zu entgehen, sucht und findet sie einen hochrangigen Beschützer. Dem ist sie fortan sexuell zu Diensten, als Lohn dafür wird sie von den anderen in Ruhe gelassen. In einer erstaunlich kühlen, nüchternen Sprache notiert die anonyme Autorin, was sie erlebt; herausgebracht werden ihre Aufzeichnungen in den 50er-Jahren von Kurt W. Marek und 2003 von Hans Magnus Enzensberger.

Die Adaption fürs Kino - besorgt hat sie der Regisseur Max Färberböck - läuft am Donnerstag an. Sie reiht sich ein in eine ganze Gruppe von Filmen, die von der Münchner Constantin, aber auch von anderen Unternehmen wie der Senator Entertainment AG oder der Studio Babelsberg GmbH produziert wurden, mit Unterstützung von öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der staatlichen Filmförderung. Es sind Filme wie "Der Untergang", "Napola", "Das Wunder von Bern" oder, kürzlich erst, "Der Baader Meinhof Komplex". Nicht nur finden sie in der Geschichte einen unerschöpflichen Fundus an Geschichten, sie verschieben auch nachhaltig unsere Wahrnehmung von Geschichte.

Diese Filme haben eines gemein: Sie verblüffen durch ihre Naivität und ihre Konzeptlosigkeit. Während sich die Regisseure des Neuen Deutschen Films in den 70er-Jahren viele Gedanken machten, wie man den Nationalsozialismus überhaupt ins Bild setzen kann, ohne dessen visuelle Selbstinszenierung, dessen Verführungskünste zu wiederholen, hält zum Beispiel Dennis Gansels "Napola" so viele rot leuchtende Hakenkreuzfahnen vor die Kamera, dass man hinterher gern die Sehnerven entnazifizieren ließe. Wenn es überhaupt so etwas wie ein Programm gibt, dann drückt es sich in der Fetischisierung von Authentizität aus. "So ist es gewesen" lautet das Mantra, das freilich etwas Entscheidendes vergessen macht: Authentizität ist immer, egal ob im Spiel- oder im Dokumentarfilm, eine mit einigem Aufwand hergestellte Illusion. Der positivistische Ansatz lässt die vorangegangenen, selbstreflexiven, manchmal bis zum Bilderverbot reichenden Ansätze außer Acht. Um der Sache auf den Grund zu gehen, scheint es heute zu genügen, wenn die Autokennzeichen im Film mit denen in der Wirklichkeit übereinstimmen.

Das Ergebnis sind merkwürdige Filme. Im Fall von "Anonyma - Eine Frau in Berlin" fließt Vieles und Widersprüchliches zusammen, ohne dass sich ein kohärenter Wurf daraus ergäbe. Färberböck geht es um das Martyrium der Hauptfigur, aber auch um das emanzipatorische Potenzial, das die auf sich selbst gestellten Frauen in ihrer Situation entdecken.

Ein wenig von der Entfesselung und Lebensgier, die das Kriegsende begleiten, lässt er ahnen; ein wenig kokettiert er damit, seine Figuren auf dem Vulkan tanzen zu lassen. Zugleich macht er aus der Prostitutions- eine Liebesgeschichte, ganz so, als wäre der Tauschhandel, auf den sich Anonyma nolens volens einlässt, heute noch so anstößig wie in den 50er-Jahren, als ihre Aufzeichnungen zum ersten Mal in Deutschland erschienen. Damit schließlich niemand den Vorwurf erheben kann, Färberböck schreibe an einer deutschen Opfergeschichte, lässt der Regisseur seine Figuren immer mal wieder laut aussprechen, dass die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion noch viel ärger gewütet hat als die Rote Armee in Berlin.

Kurz: "Anonyma" ist ein halbherziger Film; den vielen, widerstreitenden Schichten des Buches wird er nicht gerecht. Man könnte es dabei bewenden lassen, läge nicht genau in dieser Halbherzigkeit das Problem. Denn es gab und gibt ja Filmautoren, die zu den geschichtlichen Ereignissen, auf die sie sich beziehen, eine Haltung einnehmen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Italiener Marco Bellochio hat mit "Buongiorno, notte" (2003) einen Film zur Entführung Aldo Moros durch die Roten Brigaden gemacht, der das Drama konsequent nach innen, ins Seelenleben einer Brigadistin verlagert. Ein debattierwürdiges Unterfangen ist das allemal, aber eben auch eines, das sich selbstbewusst als Fiktionalisierung zu erkennen gibt, eine ästhetisch-politische Position entwickelt und daraus kein Geheimnis macht.

Genau das vermeidet "Der Baader Meinhof Kopmplex", genau das vermeiden die übrigen hier erwähnten Filme. Sie geben sich postideologisch und verlagern ihre Wertungen dorthin, wo sie kaum noch wahrnehmbar sind. "Der Untergang" etwa lässt eine Nebenfigur, Ernst Günther Schenck, als Lichtgestalt wirken, obwohl der Mann im echten Leben Ernährungsinspekteur bei der Waffen-SS war und in Konzentrationslagern Häftlinge zu Nahrungsmittelversuchen heranzog.

Auch in "Der Baader Meinhof Komplex" verbergen sich die ideologischen Setzungen. Wenn der Regisseur Uli Edel die Beerdigung Holger Meins in Szene setzt, spart er aus, dass am offenen Grab, neben dem laut agitierenden Rudi Dutschke, Otto Schily stand. Eine Auslassung, die nur einen Zweck verfolgen kann: den heute in der gesellschaftlichen Mitte respektierten Politiker nicht in die Nähe der RAF und damit nicht in Verruf zu bringen.

Nun sollen hier nicht penibel Geschichtsklitterungen aufgelistet werden. Auch der Vorwurf, Produzenten wie Bernd Eichinger oder Günter Rohrbach wählten die historischen Sujets, weil sie damit besser Geld verdienen können, führt nicht weit. Rohrbach und Eichinger wissen eben, wie verlässlich das große Publikum auf bestimmte Themen reagiert. Nazis gehen immer gut.

Verblüffend ist vielmehr, mit wie wenig Haltung, wie wenig ästhetischer Durchdringung, wie wenig Reflexion sie durchkommen - und wie leicht sie die von ihnen beanspruchte visuelle Deutungsmacht in den Medien und an den Kinokassen durchsetzen können. Offenbar kommen ihre Filme, indem sie die widerspenstigen, schmerzhaften Stoffe in schlichten Erzählformaten stillstellen, dem Bedürfnis nach dem viel zitierten unverkrampften Umgang mit der deutschen Geschichte entgegen; offenbar hat gerade die Naivität etwas Verführerisches in einer Zeit, in der man sich wieder gerne positiv und ohne Scham auf Deutschland bezieht.

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