Vernichtung von Mangrovenwäldern: Abholzen für Shrimps

In Ecuadors Provinz haben sie erst gelacht, als Investoren den Mangrovenwald kauften. Dann begannen sie dort Shrimps zu züchten. Nun sind nur noch 151.000 Hektar Mangroven übrig.

Shrimps-Zuchtstationen sind Mangrovenkiller Nummer eins. Bild: reuters

ESMERALDAS taz Jeden Morgen verflucht Beatriz Bustos die Brücke am Fluss. Ihre steife Hüfte schmerzt, der Rücken sowieso, wenn sie sich früh morgens um halb vier aus dem Bett wälzt. Vorsichtig schließt sie das Moskitonetz hinter sich, damit die beiden Kinder und das Baby, mit denen sie die Matratze teilt, weiterschlafen können. Dann fängt Beatriz Bustos an, in der Küche Mehl und Wasser zu einem Teig zu kneten.

Anfang der 80er Jahre herrschte ein Shrimps-Boom, die Nachfrage konnte durch Wildfang nicht gedeckt werden. Die industrielle Mast in den Mangrovenwäldern an der Westküste Amerikas (Schwerpunkt Ecuador) sowie in Asien (Thailand, Indonesien, Bangladesh) wurde forciert. Mehr als ein Drittel aller weltweit gehandelten Shrimps wird künstlich gezüchtet. Garnelen werden mit Fischmehl gefüttert (pro Kilo Shrimps 3 bis 4 Kilo Fischmehl). Die weltweite Aquakultur von Garnelen hat sich von 1990 bis 2003 auf rund 1,3 Millionen Tonnen erhöht und somit fast verdoppelt. Pro Kopf und Jahr werden in Deutschland 0,6 Kilo verbraucht. Durch das Abholzen der Mangroven wird der Lebensraum vieler Fische und Krebse zerstört. Die Shrimps werden mit Antibiotika behandelt, Fressfeinde und Algen mit Pestiziden bekämpft. Rückstände wurden auch in den exportierten Nahrungsmitteln nachgewiesen. Auch Garnelen aus dem Meer sind auch problematisch: Die Schleppnetze reißen den Meeresboden auf und zerstören die Korallen.

Vor knapp zwei Jahren ist die 45-Jährige von der Brücke gefallen, die vom Bootsanleger ins Dorf Santa Rosa führt. Solange sie denken kann, fehlen Bretter in dem Steg und machen den Landgang zu einem Hindernislauf. Beatriz hat das Gleichgewicht verloren und ist aus vier Metern Höhe auf die Uferböschung gestürzt. "Ein Wunder, dass ich nicht gelähmt bin", sagt sie und lässt die erste Tortilla in den Topf mit siedendem Palmöl gleiten.

Vor ihrem Unfall hat sie, so wie die anderen Frauen im Dorf, als Muschelsammlerin in den Mangroven an der Grenze zu Kolumbien gearbeitet. Das ist jetzt ausgeschlossen. Beatriz Bustos kann sich nicht mehr bücken und verdingt sich seit dem Unfall als Bäckerin. Für 15 US-Cent das Stück verkauft die sechsfache Mutter ihre Tortillas. Morgens sind die Fischer, die mit ihren Einbaumbooten auf den Rio Santiago fahren, ihre Kunden. Nachmittags kommen die Frauen schlammverschmiert und hungrig aus den Mangroven zurück. Am Fenster in der Küche, aus dem Beatriz ihre Ware verkauft, gibt es fast nur ein Thema: den Fang. Erfolgsmeldungen sind selten.

Auch die Ausbeute von Uberlisa Bustos, einer Nachbarin, ist an diesem Tag bescheiden. In dem grünen Plastikkörbchen der 64-Jährigen liegen 15 Conchas Negras. Die "schwarzen Muscheln" hat sie mit ihrer Tochter Sala, 42, aufgeklaubt. "Früher haben wir 350 Muscheln in derselben Zeit gefunden", sagt die alte Dame und lässt sich auf den Stufen vor Beatriz Hütte nieder.

Früher, das ist noch gar nicht so lange her. Anfang der 80er Jahre kamen ausländische Unternehmer nach Ecuador und wollten den Mangrovenwald kaufen. Die Bewohner der Küstengebiete in der Provinz Esmeraldas haben gelacht - und für ein paar Dollars ihr Geschäft gemacht. Was sollte man schon mit dem unwegsamen Wurzeldschungel anfangen? Von Garnelenfarmen - den "Shrimps-Pools" - hatten die Fischer noch nichts gehört.

Die Investoren aus Europa, Asien und den USA setzten erst in den Salinas, das sind natürliche Meerwasserpools, die Shrimpslarven ein. Als alle Salinas belegt waren, begannen sie die Mangroven abzuholzen, um noch mehr Platz zu schaffen. Die Luftwurzeln, die bei Ebbe wie Riesenspinnen aus dem Wasser ragen, wurden mit schwerem Gerät aus dem Boden gerissen. Jetzt reiht sich an der Küste ein Aufzuchtbecken an das andere, so weit das Auge reicht. Nur entlang der Kanäle ist ein dünner Streifen mit Bäumen stehengeblieben, um die Erosion einzudämmen.

Von ursprünglich rund 255.000 Hektar Mangroven und Salinas sind in der Region noch 151.000 Hektar übrig geblieben. Auch vor ausgewiesenen Naturschutzgebieten machen die gierigen Geschäftemacher nicht halt. Sie schicken ihre Helfer und lassen widerspenstige Bewohner mit Waffengewalt vertreiben. Die Regierung greift nicht ein. Das hat einen einfachen Grund: Die Ausfuhrzölle, die durch den Shrimpsexport in die Staatskasse fließen, sind die fünftwichtigste Einnahmequelle. Ecuador gehört heute zu den größten Exporteuren der Welt. Siebzig Prozent der Krustentiere gehen tiefgefroren in die USA, 30 Prozent nach Europa.

Frank Navarrete engagiert sich in der örtlichen Umweltorganisation für den Erhalt der Mangroven. "Die Abholzung bringt viel Unheil mit sich", sagt der 30-Jährige, der mit Unterstützung der Welthungerhilfe ein Wiederaufforstungsprojekt leitet. "Mit den Mangroven gehen auch die Fische und die Muscheln." Die Mangroven gehören zu den bioaktivsten Regionen der Welt. Wo sie intakt sind, leuchtet der Boden tiefbraun und fettig wie ein Schokoladenbrownie. Er ist voll von nährstoffreichen Ablagerungen, von denen sich der Laich und die Jungtiere zahlreicher Organismen ernähren, bevor sie aufs offene Meer ziehen.

Von diesem großen Nahrungsangebot profitieren auch die Shrimps. Zehn Millionen Larven pro Hektar werden in die Becken eingesetzt und bringen nach drei bis vier Monaten einen Ertrag von 10 bis 15 Zentnern. Doch die Mangroven sind nicht die natürliche Heimat der Garnelen. Die erwachsenen Tiere leben in 20 Metern Tiefe auf dem Meeresboden vor der Küste. "Die Wassertemperatur in den Becken stimmt nicht und es fehlt Frischluftzufuhr", erklärt der Mangrovenexperte Navarrete. "Die Tiere sind krankheitsanfällig, bekommen oft Fieber und werden deswegen mit Antibiotika behandelt." Dazu kommen noch Schneckengifte, die Fresskonkurrenten ausschalten, und ein Mittel gegen den "White Spot Syndrom Virus", der 1999 zu einem Massensterben der Shrimps geführt hatte.

Das so mit Medikamenten und Chemikalien verseuchte Wasser wird einfach zurück ins Meer gepumpt. Nach nur fünf bis zehn Jahren sind die Becken so stark mit Chemikalien verseucht, dass sie aufgegeben werden müssen. "Es dauert Jahre, bis sich auf dem Boden wieder ein Pflänzchen ansiedelt", sagt Navarrete. "Ob es uns jemals gelingt, alle Tiere und Pflanzen hier wieder heimisch zu machen, wissen wir nicht."

Mit Unterstützung der linken Regierung, die von Rafael Correa angeführt wird, rechnet bei den Umweltschützern kaum jemand. In der neuen Verfassung, über die die Ecuadorianer vor Kurzem per Volksentscheid abstimmten, wird nur allgemein von einem Schutz des Meeres gesprochen. Präsident Correa hat der Armut den Kampf angesagt, da darf keine Dollarquelle versiegen. Um die Küstenregion vor den Überschwemmungen durch das Klimaphänomen El Niño zu schützen, hat die Regierung den Bau eines Schutzwalles versprochen. "Dass das mit einem funktionierenden Mangrovenwald erst gar nicht nötig gewesen wäre, davon wurde nicht gesprochen", ärgert sich Navarrete.

"Ob und wie wir leben oder sterben, das kümmert in Quito niemanden", sagt Uberlisa Bustos, die Muschelsammlerin. Wie sie fühlen sich viele in der Region als Ecuadorianer zweiter Klasse. In dem Küstengebiet im Norden des Landes wohnen die Nachfahren schwarzer Sklaven. Die Provinz Esmeraldas wird misstrauisch beäugt. Die Region an der Grenze zu Kolumbien ist gefährlich. In die kleinen Dörfer im Mangrovendschungel ziehen sich die Kämpfer der kolumbianischen Farc zurück. Zur Demonstration ihrer Macht und ihres Selbstbewusstseins laufen sie vielerorts ganz offen mit Gewehren durch die Straßen. Schießereien gehören zum Alltag. Nachts blüht der Schwarzhandel. Auf den verschlungenen Kanälen werden Fässer mit Benzin ins Nachbarland geschafft. Die Polizei schaut weg.

"Wir waren immer arm", sagt Uberlisa und presst energisch ihre Lippen aufeinander. "Aber wir haben nicht schlecht gelebt. Wenn wir etwas zu essen brauchten, sind unsere Männer auf das Meer hinausgefahren und kamen mit vollen Netzen zurück. Und wenn wir unsere Muscheln auf dem Markt in Limones verkauft haben, hatten wir genügend Geld für Medikamente, Kleidung und Werkzeug."

Doris Ortiz, 43, arbeitet für Hivos, eine Partnerorganisation der Welthungerhilfe in Ecuador. "Früher fühlten sich die Menschen hier wie im Paradies", sagt sie. Die rasante Zerstörung der Umwelt macht die Entwicklungshilfe schwer. "Das Ökosystem ist blitzartig ruiniert worden, aber die Menschen, die darin wohnen, haben sich im Grunde nicht verändert", sagt Ortiz. "Sie sind es von jeher gewohnt, von der Hand in den Mund zu leben. Ihnen fehlt jedes Verständnis für nachhaltiges Wirtschaften." Während in anderen Regionen Existenzgründungen erfolgreich mit Mikrokrediten unterstützt werden, habe das bei den Fischern gar keinen Sinn. Deshalb setzt Doris Ortiz auf Bildung. "Wir gründen kleine Schulen und fördern Selbsthilfegruppen für Frauen, in denen die Leute lernen, wie sie die geringen Erträge maximal ausschöpfen können."

Vor Beatriz Bustos Küchenfenster ist Uberlisa schon einen Schritt weiter. Mittlerweile schart sich eine ganze Gruppe von Dorfbewohnern um die kleine alte Dame. Die neue Verfassung und die angekündigten Reformen sind einmal mehr Thema. "Im Grunde sind wir den Politikern in Quito doch völlig egal", wettert Uberlisa. "Die Regierung wird uns nicht helfen. Aber ihr werdet sehen! Eines Tages kommt ein Virus, gegen das es kein Mittel gibt. Dann sterben alle Shrimps und die Muscheln kommen zu uns zurück."

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