Wer kennt schon Albanien?

Einsame Adriastrände, ein bergiges Hinterland – für Albanien ist der Tourismus eine ausbaufähige Entwicklungsstrategie. Deutsche Entwicklungshilfe unterstützt deshalb nachhaltige Projekte im albanisch-mazedonisch-griechischen Dreiländereck und in der Region rund um Shkodra

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Economic Forecasting sieht Albanien als eines von zehn Ländern weltweit, die bis 2016 jedes Jahr mit touristischen Wachstumsraten bis zu 10 Prozent rechnen können. Anreise: Die Stadt Shkodra ist von der Hauptstadt Tirana in weniger als drei Stunden mit dem Bus erreichbar. Nach Tirana fliegt Albania Airlines dienstags und freitags von Frankfurt/Main nach Tirana; die Lufthansa elfmal wöchentlich von mehreren deutschen Städten über Wien. Der Billigflieger Germanwings startet am 23. Juni eine wöchentliche Flugverbindung von Köln/Bonn. Von Korfu fahren je zwei Personenfähren täglich in 30 Minuten in die südalbanische Hafenstadt Saranda. Auch von mehreren Städten Italiens ist Albanien über Nacht mit der Fähre erreichbar. Die Einreise über Land ist aus allen Nachbarländern visumsfrei möglich. Reiseführer: „Albanien entdecken – Auf den Spuren Skanderbegs“. Trescher Verlag 2006, 336 S., 17,95 €

VON JEANNETTE GODDARD

Ismail Beka ist früh in einen Tag gestartet, der lang werden wird. Die Sonne schaut noch nicht einmal über den Bergrücken, als er nach mehr als zwei Stunden Fahrt das erste Etappenziel erreicht. Über eine Uferstraße, an der zwei Autos einander kaum passieren können, hat er sich bis in die letzte Taverne vor der Grenze nach Montenegro vorgearbeitet. Obwohl Wochenende ist, sind Beka und seine Begleiter an diesem sonnigen Tag die einzigen Gäste am Ufer eines Sees, der zwar der größte der Balkanhalbinsel ist, von dem die Weltöffentlichkeit aber kaum Notiz nimmt: am Shkodra-See im Norden der gleichnamigen Stadt und in einem Land, das Ismail Bekas Ansicht nach viel zu selten besucht wird: in Albanien.

„Sehen Sie, was wir alles haben!“, ruft Beka aus und macht eine Armbewegung entlang der wunderschönen und unverbauten Bucht bis zu der dahinter liegenden Bergwelt. Dass Albanien unter dem Diktator Enver Hoxha rigider als jedes andere Land in Osteuropa abgeschottet wurde, macht zwar einen Teil seiner Mystik und seiner Anziehungskraft aus – aber auch seinen Nachholbedarf in touristischer Entwicklung. Individualreisende in Albanien finden kaum Kartenmaterial und Hinweisschilder, schon gar nicht in Englisch und auch nur wenige Menschen, deren Beruf es ist, ihnen zur Seite zu stehen. Nicht einmal in der Hauptstadt Tirana gibt es eine Touristeninformation.

Wenn es das eine oder andere doch gibt, ist das nicht selten auf Ismail Beka und seine Mitarbeiter zurückzuführen: Sie haben dafür gesorgt, dass die Hauptstadt Tirana den ersten Stadtplan mit Straßenverzeichnis bekam; und dafür, dass die Taverne, in der er sitzt, an der Hauptstraße ausgeschildert ist. Das Team hat die Autorin des ersten deutschsprachigen Albanien-Reiseführers mit Auto, Fahrer und Übersetzern ausgestattet und treibt gemeinsam mit albanischen Outdoor-Kennern und einem Schweizer Team die Erstellung von Wander-, Fahrrad- und Rafting-Karten voran. Wenn Bekas Traum wahr wird, gibt es bald die ersten GPS-tauglichen Wanderkarten der touristisch noch weitgehend unerschlossenen albanischen Alpen im Norden des Landes. Dann könnte in nicht allzu ferner Zukunft aus der Grenzregion zu Kosovo und Serbien, die noch bis vor kurzem als unsicher galt, ein neues Wanderparadies entstehen. Bereits in diesem Sommer eröffnen dort mit Unterstützung von Beka und seinen Kollegen die ersten Privatpensionen. Mit höchstens 1.000 Euro pro Familie hat man den Ausbau von Gäste- und Badezimmern in Privathäusern unterstützt. So, sagt Beka, „wollen wir Menschen in einer strukturschwachen Region eine Perspektive geben.“

Ismail Beka ist nämlich gar kein Tourismusmanager, sondern der Leiter des Büros der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Tirana. Neben der Ver- und Entsorgung mit Trink- und Abwasser widmet sich die GTZ in Albanien der Wirtschafts- und Tourismusförderung. Das Motto: Nachhaltiger Tourismus fördert nicht nur die Wirtschaft, sondern schafft auch Erwerbsgrundlagen und Einkommen für die einfache Bevölkerung. Als Schwerpunktregion hat sich die GTZ nicht die „albanische Riviera“ ausgesucht. Die hat bereits der Club Mediterranee entdeckt. Die GTZ fördert zwei Regionen, die es auch in Zukunft nicht leicht haben werden, an Gäste zu kommen: das albanisch-mazedonisch-griechische Dreiländereck mit dem Ohrid- und Prespasee und die Region rund um Shkodra, in der Beka heute unterwegs ist.

Nach einem schnellen Kaffee am Seeufer macht er sich zu seinem nächsten Ziel auf. Rund um die imposante Burgruine Rozafa, die Illyrern und Römern wie Venezianern und Osmanen als Bastion diente, ist heute zum ersten Mal großer Markttag. Aus der ganzen Region stellen Albanerinnen und Albaner zur Schau, was sie haben und können. Für die Besucher gibt es ein opulentes Buffet mit Ziegenkäse und Byrek, gefüllten Weinblättern und Köfte, umsonst und für alle. Gestärkt drehen die Besucher eine Runde entlang der Verkaufstische. Sie testen den Wein aus den Bergen, befühlen Stoffe aus traditionellen Webstühlen und bestaunen eine Truppe, die ohne jede Ermüdungserscheinung albanische Tänze aufführt.

Ismail Beka trifft hier Ridvan Sokoli, den Wirtschaftsstadtrat der 120.000-Einwohner-Stadt Shkodra. Er weiß, wie viel es zu tun gibt. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 32 Prozent; auch in Albanien ist mit dem Sozialismus die staatlich verordnete Wirtschaft zusammengebrochen: Alleine in Shkodra, erzählt Sokoli, hätten nach 1991 tausende ehemalige Mitarbeiter staatlicher Firmen auf der Straße gesessen.

Eine von ihnen ist die 52-jährige Teuta Gogaj. Dreißig Jahre knüpfte sie in einer sozialistischen Fabrik Teppiche, die den albanischen Doppeladler als riesiges Emblem tragen. 1991 wurde sie arbeitslos. Wenige Jahre später fasste sie den Entschluss, sich mit derselben Arbeit selbständig zu machen. „Ich kann doch nichts anderes“, sagt sie, „und warum sollen die Leute heute keine Teppiche mehr brauchen?“ Tatsächlich: Heute beschäftigt die 52-Jährige in einer kleinen Teppichproduktion sechs Mitarbeiter. Sie hat es so geschafft, auch in äußerst schwierigen Zeiten zwei Kindern eine Ausbildung zu finanzieren.

Am 1. September wird Teuta Gogoj ihren neuen Laden beziehen. Dann eröffnet in Shkodra, angestoßen von der GTZ, ein in der Region einzigartiges Zentrum für Kunsthandwerker. Sechzig Maler und Bildhauer, Holzhandwerker, Silberschmiede und Maskenhersteller sollen auf auf je 30 Quadratmetern an einem gemeinsamen Ort und doch wirtschaftlich unabhängig voneinander ihre Ware feilbieten. Das Zentrum soll Touristen auf der Suche nach Mitbringseln ins Auge springen. Und es soll jenen, die heute als Einzelkämpfer arbeiten, das Leben einfacher machen. „Wir haben doch alle die gleichen Interessen“, erzählt die Teppichknüpferin, „und ich hoffe, dass wir die an einem gemeinsamen Ort besser durchsetzen können.“

Die GTZ hat den Bau mit 40.000 Euro und in Kooperation mit dem Centrum für internationale Migration und Entwicklung, CIM, sowie der Stadt Shkodra angeschoben und ermöglicht. Ab dem Zeitpunkt der Eröffnung setzt das Konzept aber ganz auf die Eigenverantwortung der Künstler. Die Kunsthandwerker, die es beziehen, müssen den Ort selbst zum Erfolg führen. Dass sie in ihren Läden und Werkstätten Geld verdienen, ist ohnehin unerlässlich: Jeder Handwerker hat für 7.000 Euro seinen Laden als sein Eigentum erworben – und muss das zumeist geliehene Geld wieder abstottern.

Ismail Beka, der am Ende seines Inspektionstages mit einem der Künstler in einem Cafe letzte vertragliche Details bespricht, ist sich sicher, dass es klappt: „Die Zukunft gehört den Menschen“, sagt er, „sie sind es, die etwas daraus machen müssen. Und: Das werden sie auch.“