benefiz-konzert für vitico, den vater aller berliner cuba-combos
: Ein spätes Dankeschöööööööön

Es gibt verwirrende Verbindungen zwischen Menschen und Ereignissen – etwa die zwischen dem RAF-Terroristen Andreas Baader und einem Konzert, das morgen Abend im Terzo Mondo am Savignyplatz stattfindet. Der Mann, der mit beiden etwas zu tun hat – und sie auf diese Weise verknüpft –, heißt Victor Cruz, den alle nur Vitico nannten. Vor 99 Jahren wurde er – am Samstag wäre sein Geburtstag – im schwarzen Santiago de Cuba geboren, er war Volksmusiker und spielte Bass. So tingelte er über seine Insel und heuerte bei berühmten Musikern an, etwa bei Damaso Perez Prado, der den Mambo erfand. In den 60ern tourte Cruz dann erfolgreich mit seiner 15-köpfigen Band durch Europa. Sie hausten in billigsten Absteigen.

Ein Schuft war dieser Prado-Bruder. Schamlos kassierte er die Gagen, behielt alles für sich und schlug seine Musiker mit vorgehaltener Pistole in die Flucht. Zwölf Jahre, die ganzen 60er, schlug sich Vitico mit seinem dicken Bass durch die Kneipen Europas, trank Rum und hatte viele, viele Frauen. Mit einer Spanierin zeugte er sein erstes europäisches Kind, das er nie zu Gesicht bekam, weil die Spanierin mit dem Pianisten durchging. So ging Vitico nach Italien und wandte sich den Italienerinnen zu, von etlichen Bambinos munkelte man später.

Vitico war ein stattlicher Kubaner, ein Meter neunzig groß und immer gut drauf. Irgendwann gastierte er in Hamburg und bekam einen Anruf aus Berlin. „Komm, hier gibt’s Arbeit!“, rief der kubanische Perkussionist Carlos Santa Cruz, der im Rias-Tanzorchester und für Roberto Blanco trommelte. So landete Vitico 1971 in Berlin.

Sie gründeten Berlins legendäre erste Cuba-Combo namens Sugar Cane. Vitico zupfte jede Nacht den Bass in Berlins erster Latino-Disko Rincon Latino neben dem Travestie-Etablissement Chez Nous an der Augsburger Straße. Ebenso in den damaligen Kaschemmen Folk Pub, Steve Club und Go In, wo Vitico im Backstage all die Barden von Karl Dall über Reinhard Mey bis Jürgen von der Lippe kennenlernte.

Zu der Zeit fing Vitico damit an, sein „Dankeschöööön“ so lang zu dehnen. Nach jedem Lied. Viel mehr deutsche Wörter lernte Vitico bis zu seinem Tode 1998 nicht. Aber Mister Dankeschön wurde der Liebling und Motor der Berliner Latinoszene. Im Go In traf er Ello. Ellionor Michel hatte zuvor eine lange Liaison mit Andreas Baader. 1965 bekam sie eine Tochter von ihm. Baader hatte Ello schlecht behandelt, herumkommandiert, mit Zigarette im Mundwinkel. Nun hatte Ello einen Zigarrenmann, der mit Politik zwar nix am Hut hatte, aber aus dem Land der Revolution stammte.

Es war eine eigentümliche, 15 Jahre dauernde Beziehung. Ello sprach kein Spanisch, Vitico kein Deutsch. Sein Raucherbein wurde immer schlimmer, Baaders Ex war für Vitico mehr Krankenschwester als Geliebte. „Aber sie schliefen zusammen in einem schönen großen Bett“, erinnert sich der Vitico-Biograf Jorge Aravena, ein Chilene aus Friedenau.

Irgendwann hat Vitico den Fidel-Castro-Sticker, der Jahrzehnte an seinem Instrument klebte, trotzig abgerissen. Der Musiker, dem auch nach der Bein-Amputation das Lachen nicht verging, verehrte mehr den heiligen Lazarus, Schutzpatron der Kranken. In der Caféteria des Franziskus-Krankenhauses gegenüber dem Interconti sagten all die Latinomusiker, denen Vitico auf die Beine geholfen hatte, ihrem Tutor Adios. Von der Tempodrom-Bühne sandte sogar Ibrahim Ferrer Genesungswünsche ans Sterbebett.

Am Samstag ab 20 Uhr treffen sich nun die Latinos beim alten Lindenstraßenwirt Kostas. Trio Palmera, Sonidos Très, Edel Dr. Samba und Latin Spectrum Berlin spielen in der alten griechischen Taverna. Es ist ein Benefiz-Konzert für einen Grabstein, den Vitico Totensonntag kriegen soll.

Guido Schirmeyer