Musikalische Identitätssuche mit Quasi Dub Development & Jazzanova

Musik übernimmt ja allerhand Aufgaben. Viele benötigen sie, um mitzusingen. Andere, um sich zu verlieben. Mancher braucht sie zum Joggen, andere können ohne sie nicht einschlafen. Es soll sogar welche geben, die ihr zuhören. Sehr oft dient Musik auch dazu, sich selbst zu definieren. Sag mir, was du hörst, und ich sage dir, wer du bist.

Diese Funktion von Musik machen sich die Herausgeber der „Coming Home“-Reihe, das Berliner Label Stereo Deluxe, zunutze. Nach Nouvelle Vague, Nightmares On Wax oder zuletzt DJ Hell legen nun Jazzanova ihre Wurzeln und Einflüsse offen – für jedermann hörbar. Gleich mit dem Einstieg, einem nicht allzu bekannten Track des mittlerweile unter Eingeweihten recht bekannten Disco-Produzenten Arthur Russell, zeigen Jazzanova an: Wir sind ziemlich cool, aber wir reiten nicht ständig drauf rum. So geht es fröhlich weiter, quer durch die Genres in dieser Songsammlung, die deshalb auch nicht als DJ-MIx funktioniert, zu disparat sind die Beiträge: Historischer Krautrock von Harmonia, aber moderner Avantgarde-Pop von Bodi Bill. Lateinamerikanische Klänge mit Joyce, aber auch solides Jazz-Pop-Handwerk von Jamie Cullum. Die niemals wirklich berühmte Rachel Sweet oder die ebenfalls fast vergessene Tracey Ullman. Die meisten Stücke sind eher unbekannt, dafür sehr großartig. Mainstream darf schon mal sein, muss dann aber wieder durch exquisites Fachwissen konterkariert werden. Oder anders: Wir sind elitär, doch immer im Rahmen. „Jazzanova Coming Home“ demonstriert also aufs Neue: Jazzanova sind die Könige des guten Geschmacks und zuhause in der ganzen Welt.

Ähnlich, aber irgendwie ganz anders, verhält es sich mit der Heimat von Quasi Dub Development. Die Mitglieder dieses Kollektivs kommen aus verschiedenen musikalischen Sozialisationen, aber sie finden eine gemeinsame Plattform im Dub. Gemeint ist dabei weniger die ganz reale Remix-Technik, wie sie auf Jamaika entstanden ist, sondern eher die Idee dahinter: die Auflösung von Strukturen, das neuerliche Zusammensetzen isolierter Bruchstücke, das bewusste Gestalten der Freiräume zwischen den Tönen.

F. S. Blumm, mittlerweile legendärer Avantgarde-Gitarrist, spielt auf „Limousine To The Guillotine“ Bass, Luca Fadda bläst in die Trompete und Alessandro Coronas schlägt aufs Schlagzeug. Jeder nahm seinen Part zuhause in Berlin, New York oder Cagliari auf, später wurde am Mischpult zusammengefügt. Das Ergebnis ist improvisierte Musik, in der immer wieder melodische und harmonische Elemente quer aus der Musikgeschichte aufscheinen, die aber insofern Dub ist, weil sie sich voller Lust in die Klangforschung an den Rändern der Genres stürzt. Am deutlichsten wird die Verwandtheit im Umgang mit den Zwischenräumen. Selten hat man, so detailfreudig diese Musik auch sein mag, einen solch transparenten Sound gehört, der alles offen legt. Und in den Lücken finden Quasi Dub Development eine neue Heimat.THOMAS WINKLER

■ V. A.: „Jazzanova Coming Home“ (Stereo Deluxe/Warner); Quasi Dub Development: „Limousine To The Guillotine“ (Rump), live: 26. 8., Antje Öklesund, 3. 9., Ausland