„Abwehr jüdischer Zersetzung“

Der Historiker Jörg Wollenberg macht auf merkwürdige Zusammenhänge in der Geschichte der Bremer Volkshochschule aufmerksam. Allerdings liegen sie in der Logik der Bremer Erinnerungskultur

JÖRG WOLLENBERG, 70, ist Historiker und emeritierter Professor für politische Bildung der Universität Bremen

Interview: Henning Bleyl

Herr Wollenberg, anlässlich des Umzugs der Volkshochschule ins „Bamberger“ weisen Sie auf „verdrängte Kapitel“ in der der Geschichte der Bremer VHS hin. Was wird inwiefern verdrängt?

Jörg Wollenberg: Der Gründer der Bremer Volkshochschule, Richard von Hoff, war überzeugter Nationalsozialist. Schon 1919 definierte er als Aufgaben der Volkshochschule den „Wiederaufbau des Vaterlandes“ und die „Förderung des völkischen Geistes“, damit die Deutschen nicht „Kulturdünger für fremde Völker“ würden. In Zusammenarbeit mit dem „Kaffee HAG“-Besitzer Ludwig Roselius gab von Hoff schon lange vor 1933 die Monatsschrift „Rasse“ heraus, nach der „Machtergreifung“ wurde er Bildungssenator und „Hauptschulungsleiter für Rassefragen“ bei der SS. Bislang gibt es keine soliden Recherchen zum Thema, in der Denkschrift zum 75. Geburtstag der VHS ist dieser ganze Themenkomplex sehr kurz und knapp abgehandelt.

Man denkt ja auch gemeinhin, die Volkshochschulen wurzeln in einem aufklärerischen Geist, im Sinn von allgemeiner Bildungsförderung.

In Hannover, Leipzig und Köln war das so. Aber in der Regel galt: Man muss nach innen wieder gewinnen, was nach außen, im ersten Weltkrieg, verloren ging. Es galt die Devise Volksbildung als Volkbildung.

Sie haben selbst große Volkshochschulen wie in Bielefeld und Nürnberg geleitet. Wie ist da der Stand der Aufarbeitung?

Das haben wir sehr ausführlich getan, aber da hatte ich auch entsprechende Stadtratsbeschlüsse im Rücken – und es gab dafür Mittel. In Bremen war das lange Zeit nicht erwünscht.

Wurde es probiert?

Karlheinz Schloesser, Leiter der VHS in den Siebzigern, hat versucht, sie gegen den Strich zu bürsten – er wurde suspendiert und letztlich in den Selbstmord getrieben. Es gab riesigen Ärger wegen der VHS-Literaturgespräche, bei denen Peter-Paul Zahl und Erich Fried auftraten. In dieser Zeit hat auch unser heutiger Kulturstaatsminister in der Bürgerschaft seine Äußerungen zur Bücherverbrennung gemacht. [Bernd Neumann sagte 1977 über den Einsatz von Frieds Gedicht „Die Anfrage“ im Deutschunterricht: „So etwas würde ich lieber verbrannt sehen, das will ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen!“ – Anm. d. Red.]

Gleichzeitig steht Bremen im Ruf einer „linken“ kulturellen Tradition.

Die Bremer Kultur wurde – in Gegensatz zum Bildungsbereich – nach dem Krieg den Konservativen überlassen. Welche Ebene man da auch anfasst, man stößt auf ehemalige Nazis. Denken Sie zum Beispiel an den Bibliotheksdirektor und Gründer der „Wittheit“, Hinrich Knittermeyer. Er war 1941 von Hoffs Nachfolger bei der VHS und definierte deren Ziel als „Abwehr jüdisch-marxistischer Zersetzungsbestrebungen“. Eberhard Lutze, der langjährige leitende Bremer Kulturreferent ab 1949, war während des Krieges verantwortlich für die Verschleppung von Veit Stoß’ Marienaltar aus Krakau. Seine größte Tat in Bremen war dann der Rausschmiss von Kurt Hübner als Theaterintendant.

Niemand erinnert an die großen linken Theatermacher, die es in Bremen gab. Edgar Bennert zum Beispiel, der neben seiner Arbeit im Schauspielhaus auch kommunistisches Agitproptheater gemacht hatte, bekam nach 1945 in Bremen keinen Fuß mehr auf den Boden – und wurde dann Intendant in Schwerin. Genauso erging es Max Burghardt, der ebenfalls im KZ Mißler in der Findorffstraße einsaß. In Bremen war er nach dem Krieg nicht mehr erwünscht und ging deswegen zum damaligen NWDR als Leiter des Kölner Senders. Später wurde er sogar Intendant der Staatsoper Unter den Linden.

Das klingt nach blinden Flecken in der Stadtgeschichte.

Bislang fehlt ein Erinnerungsort für diesen Teil unserer Geschichte. Im Focke-Museum kann das nur punktuell gezeigt werden, weil dort ja die gesamte Stadthistorie abgehandelt werden muss. Die Ostertor-Wache hätte man zu einer zentralen Gedenkstätte machen können. Dort saßen ja Hunderte von Widerständlern. Statt dessen hat man sich für die Einrichtung des Wilhelm Wagenfeld-Hauses entschieden.

Darf man ein Haus, in dessen Keller gefoltert wurde, zum Design-Zentrum machen?

Ich versuche, an die positive Tradition des Bauhauses zu denken, zu der Wagenfeld gehört. Vielleicht kann es in Farge eine angemessene Gedenkstätte geben.

Wobei der Bunker „Valentin“ zwar sehr beeindruckend ist, aber nicht eben zentral liegt.

In der Tat. Man hätte eine solche Gedenkstätte auch bei der Umwandlung des Polizeihauses am Wall einrichten können. Geeignete Standorte gäbe es schon.

Was ist mit der Altmannshöhe? Die wurde 1935 als „Ehrenmal für die Gefallenen des ersten Weltkriegs“ gestaltet.

Mir wäre es lieber, man ließe das zuwachsen. Im übrigen wäre der Ort nun wirklich groß genug für eine Gedenktafel, die auf den Hintergrund dieser fatalen Heroisierung eingeht. Stattdessen werden hier zusätzlich die Gefallenen der „Division Gerstenberg“ und des „Freikorps Caspari“ gewürdigt, die die Bremer Räterepublik blutig niedergeschlagen haben.

Der „Jüngling“ in den Wall-Anlagen, der ebenfalls den Freikorps-Toten gewidmet ist, wurde immerhin mit einem daneben aufgestellten Lidice-Denkmal konfrontiert. Ist das ein tauglicher Umgang mit schwierigen Hinterlassenschaften?

Nein. Ich empfinde es eher als typisch bremisch, dass Dinge zusammengebracht werden, die nicht zusammengehören. Damit sind wir wieder bei der Volkshochschule: Julius Bamberger war ein politischer Gegner von von Hoff. Zusammen mit Emil Felden, dem Pastor von St. Martini, gab er die „Anti-Anti. Blätter zur Abwehr“ heraus, um gegen den Antisemitismus Position zu beziehen. Er unterstützte auch Feldens vergebliche Versuche, gegen von Hoff eine arbeiterorientierte Volkshochschule zu gründen. All das müsste man zumindest mitbedenken.