Der große Mann hinter dem Film

DREHBUCH Autoren stehen oft im Schatten der Regisseure – Wolfgang Kohlhaase aber beeinflusst den deutschen Film in Ost und West seit 50 Jahren. In einem Buch beschreibt er nun Filme und Freunde, die sein Leben prägten

Kohlhaase macht Kunst, die unterhält, die Massen anlocken und verändern will

VON JÖRG SUNDERMEIER

1965 wird der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase plötzlich zum Schweigen gezwungen. Das XI. Plenum des ZK der SED verbietet die Fertigstellung seines Films „Berlin um die Ecke“ (mit Regisseur Gerhard Klein), neben elf anderen Defa-Filmen. Erst 1990, als die SED so nicht mehr existiert, kann dieser Film in die Kinos kommen – wenn auch in einer unfertigen Version, damit „die Wunden seiner Entstehung deutlich sichtbar bleiben“, wie Kohlhaase später kommentierte. Was hatten sich Kohlhaase und Klein 1965 zuschulden kommen lassen? Nach dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 gab die Partei vor, Kritik zulassen zu wollen – als die jüngere Generation, zu der Kohlhaase zählte, aber wirklich etwas zu kritisieren hatte, endete die liberale Phase in der DDR abrupt.

Wolfgang Kohlhaase hat das langfristig nicht geschadet, er gilt heute als einer der wichtigsten Drehbuchautoren der deutschen Filmgeschichte, sein Wirken wurde wegen seines Sprachwitzes und seiner Beobachtungsgabe einzelner Milieus mit dem von Erich Kästner und Billy Wilder verglichen.

1965 konnte Kohlhaase nicht mehr arbeiten – doch in dieser Zwangspause schrieb er trotzdem weiter, nur eben zunächst anderes als Drehbücher. Er verfasste die wunderbaren Texte „Inge, April und Mai“ und „Sylvester mit Balzac“, die als Meistererzählungen gelten können, schrieb Hörspiele wie sein berühmtes Stück „Fisch zu viert – ein Moritatenbericht über eine höchst beklagenswerte Affäre im Jahre 1838 sowie im Märkischen bei Neuruppin“, das er zusammen mit Rita Zimmer verfasst hatte – und wandte sich bald auch wieder dem Film zu, schon 1968 kam der Defa-Film „Ich war neunzehn“ in die Kinos, dessen Drehbuch Kohlhaase für Konrad Wolf geschrieben hatte.

Kohlhaase war immer ein Teamplayer und immer von ganzem Herzen Autor. Schon mit 16 war der 1931 geborene als Volontär und später als Redakteur der Jugendzeitschrift Start tätig, arbeitete dann bei der FDJ-Zeitung Junge Welt, von 1950 bis 1952 schließlich war er Dramaturgieassistent bei der Defa in Potsdam-Babelsberg. Doch nach diesen Lehrjahren, beschloss er, gerade mal 21 Jahre alt und nach damaliger Auffassung nun erst volljährig, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen: Nie wieder wollte (und sollte) Kohlhaase ein Angestellter sein. Er arbeitete neben Klein und Wolf auch mit vielen anderen angesehenen Regisseuren zusammen, mit Kurt Maetzig, Bernhard Wicki, Volker Schlöndorff, Frank Beyer und Andreas Dresen. Und wirkte bei der Entstehung legendärer Filme mit, etwa „Der Fall Gleiwitz“, „Berlin – Ecke Schönhauser …“, „Solo Sunny“ und „Sommer vorm Balkon“.

Und auch heute, im Alter von 83, ist Kohlhaase noch aktiv: Für Dresen entwickelt er gerade wieder ein Drehbuch, er arbeitet an der Verfilmung des Debütromans von Clemens Meyer „Als wir träumten“.

In seinem neuen Buch mit dem etwas ungelenken Titel „Um die Ecke in die Welt. Über Filme und Freunde“ (Verlag Neues Leben 2014, 334 Seiten, 19,99 Euro) beschreibt Kohlhaase, wie er in der Schule vom Leser zum Autor wurde: „Jemand, der hinter mir saß, schrieb einen Kriminalroman. Überrascht, dass so etwas offensichtlich jedem möglich war, wollte ich auch einen schreiben.“ Selbstverständlich scheitert der Versuch, doch der kluge Leser Kohlhaase liest seither anders, interessiert sich für die Praxis des Schreibens. Bis heute.

In dem von Günter Agde herausgegebenen Band mit seinen Schriften finden sich viele Dankesreden für Ehrungen, viele Reden auf Freunde und – neben dem Lob des Lesens – immer wieder Einlassungen zur Kunst. Kohlhaase kämpft nicht nur der Partei zuliebe für den Sozialismus, nein, der Künstler ist ein besserer Sozialist als die streberhaften Genossen, gerade weil er Ecken und Kanten hat.

So kämpft er etwa Anfang der 70er Jahre dafür, dass Fernsehen und Film wieder versöhnt werden, denn, so schreibt er, „in den letzten Jahren sind Kino und Fernsehen, statt überlegt und wünschenswert zu kooperieren, in eine spontane Arbeitsteilung gerutscht, in der Vergnügen und Moral, diese schöne Einheit in der Kunst, beträchtlich auseinandergeraten sind, und beides nahm dabei Schaden.“

Genau das versucht Kohlhaase zu ändern, egal ob in der Erzählung, im Hörspiel oder beim Film – er macht Kunst, die unterhält, die Massen anlocken und verändern will. Oder, wie er 1974 sagte: „Gute Bücher verderben den Geschmack an schlechten. Viele unserer Bücher tun das. Warum tun es andere nicht? Das berührt unser Gewissen und unser Handwerk.“ Und genau darum geht es ihm noch immer – um ein gutes Handwerk und ein gutes Gewissen. Lausche man ihm also: Von ihm kann und will man lernen.

■ „Um die Ecke in die Welt. Über Filme und Freunde“. Wolfgang Kohlhaase im Gespräch mit Regine Sylvester und Günter Agde: Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, 11. Dezember, 20 Uhr, 5/3 Euro