Vermummungsverbot im Internet?
JA

NETZ Facebook und Google+ dulden keine Pseudonyme mehr. Nach den Vorfällen in Oslo fordert jetzt auch die CDU Blogger mit Klarnamen

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

Immer am Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Hans-Peter Uhl, 67, ist innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

Wir können die Vorteile des Internets täglich erfahren. Die Möglichkeit zur anonymen Kommunikation bringt dabei aber gravierende Nachteile mit sich. Etwa die Verbreitung von Kinderpornografie oder extremistischem Gedankengut in nie gekanntem Ausmaß. Die Grundsätze unserer Rechtsordnung gelten aber auch im Internet. Die Frage ist daher nicht, ob es ein Vermummungsverbot geben sollte, sondern wie wir unser geltendes Recht durchsetzen. Es kann jedenfalls kein allumfassendes Recht auf Anonymität im Internet geben. Unsere Sicherheitsbehörden müssen in Einzelfällen und unter engen Voraussetzungen die Identität eines Nutzers erfahren können. Der sofortige und unreflektierte Widerspruch der Netzgemeinde zeigt nur, dass eine überfällige Diskussion angestoßen wurde. Diese ist für unser Gemeinwesen zu wichtig, um sie einigen zweifelhaft legitimierten Experten zu überlassen. Wer jede Frage damit beantwortet, das Internet sei nicht zu regulieren, gibt den Anspruch, die Realität mitgestalten zu wollen, ohnmächtig auf – und verschließt die Augen vor Gefahren, die aus der Anonymität im Internet folgen kann.

Holger Köpke, 50, Blogger aus Hamburg, war Mitglied beim Chaos Computer Club

Es ist verständlich, dass viele Menschen ein schizophrenes Verhältnis zur Anonymität haben. Es gibt so einige gute Gründe, die sie rechtfertigen: Die Verfolgung politischer Aktivisten wie in Syrien zum Beispiel. Andererseits verleitet Anonymität einige Menschen dazu, sich wie die Axt im Walde zu benehmen. Bereits vor Jahren wurde von Nutzern von Usenet (einem weltweiten Kommunikationsmedium vor dem WWW) festgestellt, dass die Mehrheit der Pseudonym-Nutzer dazu neigen, die Umgangsformen zu vergessen. Lassen sich Fußballfans bei einer Familienfeier, wo jeder jeden kennt, genauso gehen wie auf dem Fußballplatz, wo sie unerkannt in der Menge untergehen? Ich glaube, es gehört Selbstbewusstsein dazu, vollumfänglich unter seiner eigenen Identität zu wirken. Und ich bin stolz auf das meiste, was man im Internet von mir lesen kann. Ich stehe auch zu meinen Verfehlungen, betrachte sie als Jugendsünden oder „wirre“ Momente. Auch meine Fehler sind ein Teil von mir und meiner Vergangenheit. Sollte jemand ein Problem damit haben, so mag (und kann!) er mich ansprechen. Die Möglichkeit der Anonymität sollte als Grundrecht gewahrt bleiben, aber mit Fingerspitzengefühl genutzt werden.

Christiane Schulzki-Haddouti, 44, ist Medienjournalistin und Buchautorin

Würde man die in Internetforen üblichen Pseudonyme verbieten, wäre das ein schwerer Eingriff in die Meinungsfreiheit. In Demokratien müssen sich Minderheiten austauschen können. Aber: Die Verwendung von Klarnamen befördert den gepflegten Diskurs. Jeder, der die Diskussionen des neuen Dienstes Google+ verfolgt, kann das erleben. Private Anbieter im Netz können die Klarnamenpflicht fördern und Mechanismen wie die Kommentarbewertung nutzen. Schlecht bewertete Beiträge könnten ausgeblendet werden und Moderatoren aktiver eingreifen. So würden Bürger ermutigt, sich stärker unter ihrem Klarnamen zu engagieren. Foren, in denen beispielsweise regelmäßig über Minderheiten gehetzt wird, sollten hingegen stärker geächtet werden. Eine Art Ehrenkodex für Moderatoren und Nutzer könnte enorm hilfreich sein.

NEIN

Danah Boyd, 33, Bloggerin aus den USA, ist Forscherin bei Microsoft Research

Nachdem Google+ die Angabe echter Namen zur Regel erklärt hatte, löschte das Netzwerk Nutzerkonten, die scheinbar nicht mitzogen. Die Netzgemeinde reagierte empört. Und die Marktführer taten alles, um die Wut ihrer Anhänger zu bremsen. Was noch heftigere Debatten auslöste. Eine Seite, die für die Verwendung von Pseudonymen plädiert, ist „My Name Is Me“. Besonders beeindruckend ist hier die Liste der Leute, für die Klarnamen eine Gefahr bedeuten können – Missbrauchsopfer, Aktivisten, Homosexuelle, Frauen. Ich persönlich freue mich über so viel Empörung. Wenn wir öffentliche Bühnen bauen, müssen wir die Darsteller auch die Konsequenzen der Öffentlichkeit überblicken lassen. Auf dem Spiel steht das Recht des Menschen, sich zu schützen. Wenn Facebook und Google wirklich Wert auf die Sicherheit ihrer User legen, müssen sie deren Beschwerden ernst nehmen.

Julia Schramm, 25, ist Politikwissenschaftlerin und Mitglied der Piratenpartei

Wer einen Dienst im Netz nutzen möchte, kann seinen Namen wählen – das muss aber nicht der echte sein. Pseudonymität erlaubt selbstgewählte Identitäten, ohne direkte Zuordnung zum Leben außerhalb des Netzes. Diese Eigenschaft bietet den Raum für die Entfaltung abseits alltäglicher Strukturen und Zwänge. Die Nutzer dieser Freiheit zu berauben, greift in die Struktur des Netzes ein, zerstört sie. Erst die Kontrolle über das eigene virtuelle Auftreten setzt die kreativen Kräfte frei, die das Internet und so die Gesellschaft bereichern.

Peter Schaar, 56, ist Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit

Wer auf die Vorteile der elektronischen Foren nicht verzichten will und zugleich nicht damit einverstanden ist, dass etwa der Arbeitgeber den persönlichen, politischen oder religiösen Background ausleuchtet, dem bleibt nichts anderes übrig, als unter Pseudonym zu schreiben. Aus gutem Grund gibt es bei uns den gesetzlichen Anspruch, Internetdienste anonym zu nutzen. Es sollte nachdenklich stimmen, dass autoritäre Regimes die Internetnutzung nur mit Nutzer-Identifikation gestatten. Die Ereignisse im Nahen Osten zeigen, dass soziale Netzwerke nicht nur dazu taugen, Proteste zu organisieren, sondern dass sie von Polizei und Geheimdiensten genutzt werden, deren Urheber und Teilnehmer zu verfolgen. Und: Eine Blogger-Identifikationspflicht ist nur durchsetzbar, wenn man den Zugriff auf nicht gekennzeichnete ausländische Inhalte bei uns blockiert. Der Weg zur Zensur wäre vorgezeichnet.

Joshua Marben, 18, ist Schüler aus Lüneburg und hat die sonntazfrage auf taz.de kommentiert

Verhindern könnte man Masken im Internet nur mit Personalausweiskontrollen. Aber: Gibt es nicht auch Pseudonyme für Autoren und Reporter? Sie sind notwendig, denn sobald man aufgrund seiner Meinung Angst vor Verfolgung haben muss, wird man sie nicht mehr äußern. Anonymität ist bei Veröffentlichungen ein Grundrecht. „Man is least himself when he talks in his own person“, sagte schon Oscar Wilde. „Give him a mask, and he will tell you the truth.“