Ernsthaft und genau

NACHRUF Eine persönliche Erinnerung an Günter Bommert, lange verantwortlich für das Hörspiel bei Radio Bremen, der jetzt verstorben ist

■ 63, war bis 2001 bei Radio Bremen, danach Abteilungsleiter der „Serien“ beim NDR. Seit 2010 ist er Redaktionsleiter „Serie“ innerhalb der Abteilung „Film, Familie & Serie“. Redaktionell verantwortet er u. a. „Berlin Berlin“, „Sommer in Lemona“ und „Der Tatortreiniger“. Bernd Gleim ist verheiratet und hat drei Kinder.

VON BERNHARD GLEIM

Mein erstes Erlebnis mit Günter Bommert war ein Erweckungserlebnis. Als studentischer Praktikant der Hörspielabteilung von Radio Bremen hatte mich der Abteilungsleiter mit einem riesigen Stapel von Manuskripten, die zu einem Wettbewerb der Europäischen Rundfunkunion (EBU) um das beste europäische Hörspiel eingegangen waren, in einer Art Besenkammer abgesetzt. Mit fleißigem Gehorsam las ich Manuskript für Manuskript durch, fertigte die geforderten Lektorate an. So ging das Tag für Tag.

Eines Tages streckte ein freundlicher Herr mit einem grauen Kurzhaarschnitt seinen Kopf zur Tür herein und fragte mich: „Sagen Sie, was machen Sie da eigentlich?“

„Ich lese Hörspiele und fertige Lektorate an.“

„Und dann?“

„Dann lege ich sie beim Abteilungsleiter auf den Schreibtisch.“

„Und dann?“

„Ja, das weiß ich auch nicht.“

„Das geht so nicht“, sagte der freundliche Kurzhaarschnitt: „In Zukunft geben Sie mir Ihre Lektorate und dann sprechen wir darüber.“

So begann für mich eine fast vierzig Jahre dauernde Freundschaft.

Jedem Pathos abhold

Günter Bommert war zuerst Chefdramaturg, später Leiter des Hörspiels, und wer bei ihm in die Lehre ging, hatte einen Mentor gewonnen, wie es keinen besseren geben konnte. Wenn er mit Autoren sprach, dann konnte man seine gespannte Aufmerksamkeit beobachten, die von einem sehr konkreten Respekt geprägt war. Er hatte sich meist ein gründliches, durch hohe literarische Bildung und jahrelange dramaturgische Praxis – vor dem Rundfunk war er am Theater gewesen – geprägtes Bild von dem zur Rede stehenden Text gemacht, feinfühlig für Nuancen und jedem Pathos abhold. Das mochte er nicht – er, der im Krieg gewesen war, in der Jugend durch den Nazismus verseucht, hatte Nüchternheit und Klarheit als Gegenmittel für sich gefunden.

Immer wieder konnte er begeistert davon erzählen, wie sehr die englische Kriegsgefangenschaft für ihn eine Schule der Befreiung gewesen war, in der er zum ersten Mal mit der Literatur des Westens in Berührung gekommen war. So paradox das auch erscheinen mag: Gerade hinter den Zäunen hatten sich ihm die weiten Horizonte eines befreiten und nicht ideologisierten Denkens erschlossen.

Mit Themen, die aus dieser Vergangenheit kamen, setzte er sich in den von ihm inszenierten Hörspielen auseinander; er liebte die beinahe kammermusikalischen Engführungen von Beziehungsdramen, Geschichten, die von neurotischen Verklammerungen erzählten. Die Wendung des Hörspiels zur konkreten Poesie und zum reinen Sprachspiel hat er nicht mitgemacht. Das Hörspiel brauchte einen Bezug zur Realität – Günter fand diese Realität vor allem im Inneren der Menschen, in kleinen Lügen und ausweglosen Konflikten.

In Erinnerung bleibt zuerst die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, mit der Günter seinen Beruf ausübte, und die menschenfreundliche Achtung, mit der er allen an der Produktion Beteiligten begegnete. Jeder weiß, dass in unseren Berufen Selbstüberschätzung und Schluderei allfällige Weggefährten sind. Günter blieb sich in seinem strengen Anspruch treu, auf eine überzeugende Weise unbeirrt. Aber es kennt ihn schlecht, wer sich nur an diese Seite erinnert! Ich habe in meinem Leben keinen Menschen getroffen, der so wie er Anspruch und Ernst mit einem manchmal geradezu hemmungslosen Zug zur Alberei vereinbaren konnte.

Jeder weiß, dass in unseren Berufen Selbstüberschätzung und Schluderei allfällige Weggefährten sind. Günter blieb sich in seinem strengen Anspruch treu, auf eine überzeugende Weise unbeirrt

Ich war schon aus der Besenkammer ins Vorzimmer vorgerückt, um dort meiner stillen Lesearbeit nachzugehen, da hatte er sich ein Buch mit gänzlich sinnlosen Sprachstatistiken besorgt – die meistgebrauchten deutschen Wörter, die am wenigsten gebrauchten Wörter, die silbenreichsten Wörter, die konsonantenreichsten Wörter und so weiter –, um aus einigen dieser sinnlosen Statistiken wunderbare kleine Gedichte zu machen. Jedes Mal kam er dann zur Tür heraus und musste sie vorlesen, stolz wie ein Kind, das ein Geschenk präsentiert. Seine Limericks wurden auf der legendären Satire-Seite des Stern gedruckt, die sein Freund Erhard Kortmann verantwortete, sein „Magisches Quadrat“ hat bis heute in deutschen Lesebüchern überlebt.

Wer an Günter denkt, muss gleichzeitig an die politisch sehr wache Generation der Redakteure denken, die damals Radio Bremen prägte. Ich sehe sie noch um den großen Tisch im Funkhaus an der Spitta-Allee sitzen: Günther Demin, der Feuerkopf; die so früh verstorbenen Michael Geyer und Rüdiger Kremer; Gottfried von Einem; Marion Gerhard, die aus dem Schulfunk einen journalistisch anspruchsvollen Bildungsfunk gemacht hatte, der sich vor Einmischung und aufregenden neuen Radioformen nicht scheute. Man wird die erregten Gespräche von damals vielleicht auch kritisch sehen können, manchmal waren sie erstarrt in Selbstbezüglichkeit und Ressentiments.

Und doch: Der selbstbewusste Redakteur, der Öffentlichkeit nicht mit Markt verwechselt, ist eine Essenz des öffentlichen Rundfunks. Günter rieb sich – auch als Mitglied des damals sehr markanten Redakteursausschusses – häufig genug an seinen Vorgesetzten; natürlich vor allem mit den Mitteln der Sprachkritik.

Beschwingt ins Dunkel

Ich hatte das große Glück, mit ihm noch nach dem Ende seines Berufslebens befreundet zu bleiben. Unsere Kinder liebten ihn, weil er selbstironisch von sich als altem grauen Esel sprach, wobei natürlich jeder aus dem bekannten Bremer Märchen weiß, dass auch alte Esel veritable Helden sein können. Er blieb stets lange, war voller Geschichten und wirkungsvoll erzählter Anekdoten. Neben ihm zu sitzen bedeutete, den ganzen Abend gut unterhalten zu sein. Irgendwann, nicht mehr so ganz nüchtern, schwang er sich auf sein Rad und fuhr nach Hause.

So will ich ihn in Erinnerung behalten: Wie er, geistig beseelt und beschwingt, hinausfährt in die dunkle Bremer Nacht.