GESCHICHTSWETTBEWERB
: Buddeln in der Vergangenheit

Beinahe hätte die 18-jährige Giordana Dunkhorst aufgegeben. Für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wollte sie erforschen, warum die ebenfalls 18-jährige Marienetta Jirkowsky 1980 versucht hatte, über die Mauer zu flüchten. Die schwangere Marienetta starb damals im Kugelhagel der Grenzsoldaten. Doch anfangs fand Giordana niemanden, der über Marienetta Auskunft geben konnte. Trotzdem hielt sie durch – und wurde gestern als eine von drei Berliner Landessiegern beim Geschichtswettbewerb ausgezeichnet.

Zufällig war Giordana dann doch noch auf den Lkw-Fahrer Falko Vogt gestoßen, der damals als 18-Jähriger gemeinsam mit Marienetta und ihrem 24-jährigen Verlobten flüchtete. Die beiden Männer konnten sich noch rechtzeitig auf die westliche Seite retten. Marienetta fühlte sich vom sozialistischen System schikaniert und ausgegrenzt. „Ihre Eltern waren sehr staatstreu“, erzählte Vogt bei der Preisverleihung. Sie hätten Marienetta verboten, ihren Verlobten zu heiraten, obwohl sie bereits volljährig und schwanger war.

Trotz der Aussagen von Vogt weiß man wenig über Marienetta, denn die Staatssicherheit hat nach ihrem tödlichen Fluchtversuch alle Spuren vernichtet. Die Eltern mussten alle Fotos abgeben. „Das meiste bleibt Spekulation, aber ich denke, dass ich jetzt mehr über Marienetta weiß“, sagte Giordana.

Giordana erhält als Landessiegerin ein Preisgeld von 250 Euro und hat die Chance auf einen Bundespreis, der im Oktober bekannt gegeben wird. Die Auszeichnung nimmt dann der Bundespräsident vor. Insgesamt beteiligten sich in Berlin 110 Schüler am Geschichtswettbewerb. Bundesweit waren es 5.000 Schüler, die 1.257 Beiträge einreichten. Der Geschichtswettbewerb wird von der Hamburger Körber-Stiftung ausgerichtet.

Außer Giordana erhielt auch die 18-jährige Christina Dornbusch einen Berliner Landespreis. Sie erforschte, wie sich die Heimerziehung von der Nachkriegszeit bis heute verändert hat. Diese Idee kam ihr, als sie einen Bericht über Dietmar Krone las. Er wurde als Kind in ein Erziehungsheim abgeschoben, wo ein betrunkener Erzieher ihn zusammenschlug und ihn einfach für drei Tage in eine Dunkelzelle sperrte. Christina fand diese Brutalität so erschreckend, dass sie beschloss, nachzuforschen, ob die Zustände im Kinderheim bei ihr um die Ecke ähnlich schlimm waren. Doch dort herrschte zwar „eine strenge Erziehung, aber keine Misshandlung“. Trotzdem musste sie die Namen der befragten Heimkinder und Erzieher anonym halten.

Als Drittes wurde eine fünfte Klasse der Spartacus-Grundschule in Friedrichshain ausgezeichnet, die sich mit der Fluchtgeschichte des Juden Kurt Gutmann auseinandersetzte, der 1939 mit dem letzten Kindertransport nach Schottland ausreiste. „Es muss schrecklich gewesen sein, seine Familie und seine Mutter nicht zu sehen“, meinte die elfjährige Naomi. Gutmanns Mutter und sein jüngerer Bruder Hans wurden später deportiert und in Sobibór vergast. Mit 17 meldete sich Kurt Gutmann zur britischen Armee, um beim Kampf gegen den Faschismus zu helfen – weil es Hitlers Ziel war, dass es in Deutschland keine Juden mehr gibt, und er „nicht wollte, dass Hitler Recht behielt“. „Ich erzähle den Kindern gerne meine Geschichte. Es war mein Ziel, auf diese Weise meine ermordeten Angehörigen zu ehren“, so Gutmann auf der gestrigen Preisverleihung.

Und was lernen die Kinder bei so einem Wettbewerb? „Wir haben gelernt, dass unser Nächster der ist, der Hilfe benötigt, egal wie er aussieht. Ob er jetzt schwarz, weiß, ein Mann oder eine Frau ist“, sagte die elfjährige Pauline. VERONIKA VOGEL

Die Autorin ist taz-Schülerpraktikantin