Ewig lockt die Kohlroulade

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die heimliche Bundestagskantine kommt aus der DDR

Im Spreebogen ist seit der Wende nicht viel geblieben, wie es war. Für das neue Regierungsviertel wurde gebaut, umgebaut, abgebaut und aufgebaut, aufgerissen und drüberplaniert. Nur wenige Gebäude in der Gegend östlich des Brandenburger Tors erinnern daran, dass man hier auf der Seite der Mauer war, auf der das Aussehen einer Banane eher ein theoretisches Konzept war als praktisches Wissen.

In einer der wenigen unangetasteten sozialistischen Bausünden, im Erdgeschoss eines Gebäudes an der Dorotheenstraße, an dem die Farbe abblättert, liegt eine Kantine mit dem mondänen Namen „City Casino“. Besonders an ihr ist, dass sie nicht wie Butter Lindner und Dussmanns Kantinen mit den Bundestagsangestellten anrückte, sondern schon seit 1971 von der gleichen Familie betrieben wird – eine im Regierungsviertel eine nahezu ungeschlagene Kontinuität in der Bewirtung. Zu DDR-Zeiten waren in diesem Gebäude ausländische Vertretungen untergebracht, heute gehört es zum Bund. Was aus dem Haus werden soll, ist unbekannt, eine Unsicherheit, die sich im ramponierten Ambiente des Lokals widerspiegelt.

Eine lange Fensterreihe öffnet den länglichen Raum zur Straße, an der gegenüberliegenden Wand befindet sich die Selbstbedienungstheke, dazwischen stehen Tische. An ihnen sitzen die Putzkolonnen des Bundestages, ein paar Angestellte und Techniker aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Sie blättern nach dem Essen in den Boulevardzeitungen, die es im City Casino zu kaufen gibt, treffen Kollegen. Zwei Frauen im weißen Kittel sind schon seit Jahrzehnten Stammgast. Man kann der Stadt Berlin Kinder geboren haben – in dieser Kantine wird man sich dennoch neu in der Stadt fühlen, wenn man aus dem Westen kommt.

Der zonale Einfluss prägt auch den Teller. Bei fast jedem Gericht liegt Krautsalat mit auf dem Teller; als die Betreiber einmal versuchten, ihn wegzulassen, rebellierten die Stammgäste. Der Fisch und das Fleisch sind in diesem Laden natürlich paniert, dem Cappuccino ist ein Sahnehäubchen gewachsen. Dafür wird dem Gast für knappe vier Euro eine Riesenkohlroulade geboten, die einen anständigen Eindruck macht. Das Fleisch ist okay, der Kohl und die Soße schon auf höherem Niveau. Geschmackshighlights können die Gäste nicht erwarten, satt aber werden sie sicher. Ein Blick in ihre Gesichter verrät: Das City Casino bietet den kleinen Einkommen einen Treffpunkt zum Pausieren zwischen harter Arbeit. Es ist nicht edel, aber vielen schon lange eine Heimat.

KANTINE CITY CASINO, Dorotheenstraße 89, 10117 Berlin, (0 30) 22 66 44 65, S- und U-Bahn Friedrichstraße, Mo.– Fr. 7.30 – 15.30 Uhr, Cola 60 Cent, Cappuccino mit Sahne EUR 1,20, Hauptgerichte ab EUR 2,35