Die Freude der Entdecker

KUNST Menschen wandern, Ideen auch, neue Verwandtschaften entstehen: Die Ausstellung „Nomadic Settlers – Settled Nomads“ im Kunstraum Kreuzberg

Bei Ndabananiye hat die Bildfläche eine Struktur wie alternde Haut

Von oben, aus dem Flugzeug, sieht die Landschaft manchmal so aus wie ein Teppich aus unregelmäßigen Flicken. Unregelmäßig ist auch die Form des Mosaiks aus fünf- und sechseckigen Stücken von MDF-Holz, dem Yasmin Alt den Titel „Because I Always Feel Like Running“ gegeben hat: eine bewegte Struktur, die an Parkettböden erinnert, aber auch an ein trunkenes Taumeln darüber. Bewegung, Landschaft, Reisen, das ist eines der Themenfelder der Ausstellung „Nomadic Settlers – Settled Nomads“ im Kunstraum Kreuzberg. Wenige Schritte von Alts Skulptur entfernt hängt eine schöne Fotoserie von Inês D’Orey aus Portugal, sepiabraune, leere Räume aus öffentlichen Gebäuden: Sie zeugen von einem architektonischen Aufbruch in der Moderne, aber auch vom Menschen als Objekt der Verwaltung und einer vergangenen Hoffnung von der Planbarkeit des Lebens. Die Menschen, die hier hindurchgeschleust werden, sind in den Bildern nicht zu sehen, aber dennoch funktionieren sie als Methapher des Durchgangs. Jeder ist da unbehaust.

Migration, Flucht und Vertreibung sind seit den neunziger Jahren ein Thema in der bildenden Kunst. Die drei Kuratoren aber, die die Ausstellung „Nomadic Settlers“ im Kunstraum Kreuzberg zeigen, sind sehr jung: Simone Kraft aus Heidelberg, Pauline Doutreluinge, Sinologin aus Belgien, und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, der in Berlin den art space Savvy für die Begegnung von westlicher und nichtwestlicher Kunst gegründet hat. Für sie steht weniger eine Kritik an postkolonialen Gesellschaften im Vordergrund als vielmehr eine große Entdeckerfreude. Sie bringen über zwanzig Künstler aus verschiedenen Weltgegenden zusammen, weil sie in deren Arbeiten Verwandtschaften entdecken, manchmal ästhetisch, manchmal vom Konzept her. So wie man in Gesprächen oft vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, Erinnerungen sich an Bilder anschließen, sind hier die Werke unterschiedlichster Herkunft verknüpft. Man kann man in jedem Raum nach anderen verbindenden Elementen suchen.

Manchmal ist das ein Interesse für Mythen und Geheimnisvolles wie bei Lars Bjerre (aus Kopenhagen) und Dallia Dalléas (aus Algerien). Sie passen zunächst einmal gut in dem gegenständlichen und unheimlichen Charakter ihrer Malerei zusammen: Aber während Bjerre dabei spektakulär Ängste und Lüste auslotet, beschäftigt sie sich in sehr zurückgenommenen Formen mit dem Exotismus in der europäischen Tradition. Da geht das oberflächlich Passende in der Tiefe dann doch aneinander vorbei. Besser funktioniert der Dialog in einem Kabinett mit Porträts von Rudi Cremoni (aus Bologna) und Christophe Ndabananiye (aus Kongo). Cremoni bezieht sich in einer Serie von Bildern auf die Fotografie eines Jungen, wandelt einen Moment wieder und wieder ab, und je länger man sich mit der schmächtigen Gestalt beschäftigt, desto mehr vermutet man in ihr das Opfer eines Verbrechens. Auch Ndabananiye arbeitet seriell, schichtet Lack und Öl übereinander, bis die Bildfläche eine Struktur wie alternde Haut erhält oder zum Spiegel wird, unter dem das ursprüngliche Porträt verschwindet. Beide arbeiten mit dem Unbehagen und dem Misstrauen angesichts des Versuchs, Identität fixieren und bildlich darzustellen.

„Nicht nur Menschen wandern, sondern auch Ideen“, benennt Bonaventure Soh Bejeng Ndikung ein Motiv für die Knüpfung von neuen Verwandschaften im Ausstellungsraum. Der Kontext der Ausstellung ermöglicht so auch den Künstlern selbst, Aspekte ihres Werkes aus einer anderen Perspektive zu sehen und in Verbindung mit anderen, neue Lesarten des Eigenen zu entdecken. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Im Kunstraum Kreuzberg, bis 28. August, tägl. 12–19 Uhr