Wer Rente will, muss umziehen

UKRAINE Die Regierung will ab 1. Dezember nur noch die Menschen finanziell unterstützen, die in den von Kiew kontrollierten Gebieten leben. Bewohner der Separatistengebiete gehen dann leer aus

KIEW taz | Bis zum 1. Dezember haben Bewohner von den Orten der Ostukraine, die nicht von Kiew kontrolliert werden, Zeit, in eine von Kiew kontrollierte Ortschaft umzuziehen. Wer das nicht tut, wird vom Bezug staatlicher Leistungen ausgeschlossen. So sieht es ein Anfang November verabschiedetes Gesetz vor. Doch die Diskussion über das Gesetz, das bestimmt, dass Rentner, Behinderte, alleinerziehende Mütter und Veteranen des Zweiten Weltkrieges, die das Gebiet der nicht anerkannten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk nicht verlassen können oder wollen, keine staatlichen Gelder aus Kiew mehr erhalten werden, hält an.

Ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung unterstützt das Gesetz. „Ich bezahle regelmäßig meine Steuern. Und ich sehe nicht ein, warum ich für Leute bezahlen soll, die mich als Faschisten beschimpfen“, meinte ein ukrainischer Journalist.

Inzwischen rudert die Kiewer Regierung zurück – in der Begründung. Noch Anfang November hatte Premierminister Jazenjuk die Notwendigkeit des Gesetzes damit gerechtfertigt, dass die Kiewer Regierung keine Terroristen im Osten finanzieren wolle. Nun erklärt Finanzminister Alexanders Schlapak, angesichts eines nicht funktionierenden Finanzsystems sei es nicht möglich, Gelder in die von Kiew nicht kontrollierten Gebiete zu überweisen. Zudem könne man den anderen Regionen kaum erklären, warum man in einer Zeit, in der man Schwierigkeiten habe, die Soldaten zu bezahlen, Geld an Territorien bezahle, die derzeit von den Kiewer Machthabern nicht kontrolliert würden, so der Finanzminister. Trotzdem werde man den Bewohnern der Gebiete Lugansk und Donezk ihre Leistungen bezahlen, sobald dies möglich sei, so der Finanzminister Alexander Schlapak.

Anfang vergangener Woche hatte Sozialministerin Ljumilla Denisova erklärt, dieses Gesetz sei nötig, um Rententourismus zu verhindern. Es gehe doch nicht an, so die Ministerin, dass sich Bewohner der von Kiew nicht kontrollierten Gebiete ihre Rente in anderen Städten abholten und dann anschließend wieder in die von Kiew nicht kontrollierten Gebiete zurückreisten.

„Ich fühle mich von der Frau Ministerin beleidigt“, erklärt die Rentnerin Nadeschda aus einem kleinen Ort in der Nähe von Donezk. „Unter Lebensgefahr bin ich mehrfach von Donezk in eine andere Stadt gereist, um meine Rente abzuholen. Und nun muss ich mich als Rententouristin beschimpfen lassen.“ Ab dem Inkrafttreten des Gesetzes müsste Nadeschda in einer von Kiew kontrollierten Stadt leben, um sich ihre Rente auszahlen lassen zu können. Da sie dort keine Verwandten hat, bei denen sie unterkommen und sich registrieren lassen könnte, wird sie bis auf Weiteres gar kein Geld von Kiew erhalten. BERNHARD CLASEN

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