Der Regen bleibt draußen!

Hartmut Ortlieb hat keinesfalls das Rad erfunden – aber 1982 Radtaschen kreiert, auf die Reiseradler aller Länder offensichtlich händeringend gewartet hatten

Vom Hinterhof in den Weltmarkt: Mit so einer Firmengeschichte kann der Outdoor-Ausrüster Ortlieb tatsächlich aufwarten. Aus dem Ein-Mann-Unternehmen – 1982 standesgemäß in einer Garage gestartet – ist 25 Jahre später ein mittelständisches Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern geworden. Die wasserdichten Radtaschen, die nach wie vor Ortliebs Spezialität sind, werden heute nahezu weltweit vertrieben. Der 45 Jahre alte Hartmut Ortlieb, der bereits als Abiturient mit dem Entwerfen und Produzieren anfing, ist jetzt geschäftsführender Gesellschafter der Ortlieb Sportartikel GmbH in Heilsbronn. HD

taz: Anfang der Achtziger steht der Schüler Hartmut O. im südenglischen Landregen und träumt von wasserdichten Radtaschen, am besten aus dicker Lkw- Plane, das wär’s. Und als er wieder in der fränkischen Heimat ist, setzt er sich flugs an die Nähmaschine. Eine hübsche Legende.

Hartmut Ortlieb: Wieso Legende? Das war wirklich so! Diese englische Erfahrung mit den durchnässten Beuteln am Rad wollte ich nicht noch mal haben. Also nahm ich zu Hause sofort Kontakt mit der Bernina meiner Mutter auf und nähte die ersten Prototypen aus zugeschnittener Plane zusammen.

Entwerfen, zuschneiden, nähen – das beherrschten Sie im Handumdrehen?

Na ja.

Immerhin müssen damals noch mehr Menschen darunter gelitten haben, dass es keine wasserdichte Methode der Gepäckbeförderung gab. Bis dahin hielt nur die Plastiktüte dicht?

Wirklich wasserdichtes Equipment war nicht vorhanden, erst recht nicht für lange Touren. Gut, es gab brauchbare Taschen aus wachsbeschichteter Baumwolle. Aber irgendwann waren auch die durch. Und deren Nähte dicht zu bekommen, war das nächste Problem. Ich wollte aber richtig dichte Taschen. Leider gab’s das Nahtproblem auch bei meinen ersten Modellen. Anfangs griff ich zur Dichtmasse für die Versiegelung von Cabrioverdecken, dann wurde das Problem endgültig durch das Hochfrequenz-Schweißverfahren mehr als gelöst. Seitdem sind die Schweißnähte so belastbar wie das Rohmaterial selbst.

Hat Ortlieb die Renaissance der Radreise angeschoben – oder davon profitiert?

Beides. Wir waren Kinder dieser Zeit. Erst belächelt, entwickelte sich aus den Radreisenden eine immer weiter wachsende Zielgruppe. Heute ist Rad fahren zu einer Lebenseinstellung geworden und durchaus mit Ansprüchen verbunden. Je besser das Equipment, desto mehr Spaß, desto länger die zurückgelegten Wege. Wesentlichen Anteil an der Verbreitung der Marke Ortlieb hatten sicher auch die Fahrradkuriere. Mit der Entwicklung unseres wasserdichten Kurierrucksacks konnten sie ihre Güter sicher und trocken transportieren. Und mit diesen gelben Taschen waren die Kuriere im großstädtischen Verkehr auffällige Erscheinungen – auch nicht schlecht für uns.

Ist es heutzutage nicht mumpe, ob das Gewebe einer Radtasche Regen durchlässt oder nicht? Sobald es anfängt zu nieseln, steigt der typische Radtourist doch sofort ab und setzt sich ins Café.

Haben Sie eine Ahnung! Den Radtouristen gibt es sowieso nicht, wir haben eine sehr heterogene Gruppe. Doch grundsätzlich greift immer stärker die Maxime: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausstattung. An unseren Messeständen besuchen uns etwa häufig auch ältere Damen, von Kopf bis Fuß in Funktionskleidung gepackt, und machen sich kundig über die neuesten Entwicklungen. Und die sollen bei jedem Tröpfchen absteigen? Da lachen die drüber, und viele andere auch.

Und doch hat sich so manches geändert. Sie produzieren mittlerweile auch harte Sachen aus Polycarbonat, Boxen und Trolleys etwa, nicht zu vergessen die Office-Bags, mit denen auch Manager eine gute Figur machen würden. Ist nicht mehr der Weg das Ziel, sondern das Büro?

Zuerst einmal: Die Plane ist und bleibt ein Renner. Andererseits bieten neue Materialien wie Polycarbonat, Silikon oder Neopren ein ganz anderes Design-Potential. Was aber keinesfalls unser Prinzip form follows function in Frage stellt. Wer einmal wie ich im Regen gestanden hat, wird von Paradigmen wie hohe wasserdichte Qualität, Robustheit und Langlebigkeit niemals abweichen. Und jetzt zum Büro: Der Weg zur Arbeit wird von immer mehr Menschen auf dem Rad zurückgelegt, ich erinnere nur an die Kampagne von ADFC und AOK mit den jährlich steigenden Teilnehmerzahlen. Das ist toll. So ein Verhalten steht für Nachhaltigkeit und urbane Lebensqualität, ist aber auch mit anderen, mit gestiegenen Ansprüchen verbunden. Wir haben heute also nicht nur Reiseradler. Wir haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse, die sich immer weiter ausdifferenzieren. Und all die zu befriedigen – das genau ist unser Ding. INTERVIEW: HELMUT DACHALE