Sehnsucht Staat

STAATSBEGRIFFE Zum Abschluss der „Intro“-Reihe gibt es einen Überblick über unterschiedliche Modelle materialistischer Staatstheorie und -kritik

Man könnte meinen, es verbiete sich eigentlich der Vernunft. Zumindest merkwürdig mutet es an, mit welcher Selbstverständlichkeit staatliche Herrschaft allerorten nicht nur hingenommen und akzeptiert, sondern befürwortet, geradezu herbeigesehnt wird. Ob im Leitartikel, auf dem Kirchentag, in der Bundestagsdebatte, auf Demonstrationen rechter wie linker Globalisierungsgegner oder im Doktorandenkolloquium: mal mit verantwortungsvoller Sorge um seine Handlungsfähigkeit, mal mit untertänigem Appell, er möge doch bitte für soziale Gerechtigkeit sorgen: einig scheint sich die keine Parteigrenzen mehr kennende Apologie staatlicher Herrschaft zu sein, dass der Staat nicht notwendiges Übel, sondern vielmehr Gewähr menschlicher Freiheit und gesellschaftlicher Selbstorganisation sein muss.

Aber warum eigentlich diese unbedingte Loyalität gegenüber staatlicher Herrschaft, die, bei aller Differenz im Detail, doch wesentlich darin besteht, Freiheit einzuschränken? Warum wird das allgemeine Diktat, unter dem die Menschen in modernen Gesellschaften zu leben gezwungen sind, auch noch eingefordert? Dass das unmittelbare Gewaltverhältnis in modernen Gesellschaften in eine sachliche Gewalt transformiert ward, ist offenkundig und bezeichnet den Fortschritt der Entzauberung der Welt, den die bürgerliche Gesellschaft ins Werk setzte. Dass sie, um des Funktionierens und der Selbsterhaltung willen, offenbar rechtlicher und politischer Sphären bedarf, motivierte immerhin einmal die Kritik jener, die mit der unvollendeten Entmythologisierung der Moderne – sollen die Individuen doch von Natur aus frei und gleich sein – sich nicht haben abfinden wollen.

Was ist das also: Staat, der einmal sei es absterben, wie es Marx und Engels formulierten, sei es aufhören sollte, wie es zuvor der junge Hegel forderte? Ist er allein die Geißel, als welche ihn die Kritik denunzierte oder ein Ort, an dem soziale Kämpfe ausgefochten werden, Macht der Unwahrheit des Ganzen oder neutrales Instrument? Der Vortrag von Moritz Zeiler, Mitglied des Vorstandes der Rosa Luxemburg Initiative in Bremen, geht zum Abschluss der „Intro“-Reihe diesen Fragen nach und liefert einen Überblick über Staatsbegriffe materialistische Theorie und Kritik des Staates: von Lenins instrumenteller Staatsauffassung – Staat als klassenspezifischer Herrschaftsapparat – über relationale Staatstheorien von Gramsci und Althusser – Staat als materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen – bis zu Paschukanis’ Überlegungen zum Staat als politischem Ausdruck naturwüchsiger Vergesellschaftung, schließlich den Debatten um Staatsableitungen.BASTIAN BREDTMANN

Di, 12. 7., 19 Uhr, Centro Sociale, Sternstraße 3