Wie in einem Märchen

GLANZ Früher war Potsdam die Grenze zwischen Ost und West. Heute wollen alle hier leben, vor allem die Prominenten des Landes. Besuch in einer gesamtdeutschen Stadt

■ Einwohner: Potsdam hat derzeit 160.000 Einwohner. Nach dem Mauerfall sank die Bevölkerungszahl auf 129.000 Einwohner, seit dem Jahrtausendwechsel stieg sie kontinuierlich an. Neben Zuzügen spielt dabei auch die geringe Sterbe- und die hohe Geburtenrate eine Rolle. Potsdam ist die drittjüngste Stadt in Deutschland.

■ Politik: Oberbürgermeister ist seit 2010 Jann Jakobs von der SPD, er gewann in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Linkspartei. Bei der Bundestagswahl 2013 wurde die CDU mit 27 Prozent erstmals stärkste Partei in Potsdam.

■ Und sonst: Potsdam hat berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht, darunter Friedrich den Großen, Wilhelm von Humboldt und Voltaire. Turbine Potsdam ist der einzige Fußballverein aus der ehemaligen DDR, der eine gesamtdeutsche Meisterschaft gewinnen konnte. Am liebsten gehen die Potsdamer ins Kino. Die „UCI Kinowelt Potsdam“ ist jedenfalls besser besucht als das Schloss Sanssouci. (jj)

AUS POTSDAM ANDREAS RÜTTENAUER, DANIEL SCHULZ (TEXT) UND DAVID OLIVEIRA (FOTOS)

Hier sind die Agenten langgegangen. Von Westberlin nach Potsdam muss man über die Glienicker Brücke. Sowjetunion und Amerikaner haben hier früher Geheimdienstleute ausgetauscht, die sie sich gegenseitig weggefangen hatten. Potsdam war die Grenze. Schön ordentlich – da Osten, dort Westen.

Ein keines Mauerstück steht hinter der Brücke. Die Kanzlerin hat unterschrieben. Alt-Außenminister Guido Westerwelle und Alt-Liedermacher Wolf Biermann. Wer halt so eingeladen war, als die Villa Schöningen, das erste Haus gleich hinter der Grenze, 2007 eröffnet wurde. Saniert hat es Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags. Heute ist hier ein Museum. Wie das Haus früher ausgesehen hat, kann man sich ansehen, und wie schlimm die DDR war. Freiheitsfolklore.

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Heute wohnt hier Günther Jauch, der Moderator. Wolfgang Joop, der Modemacher. Nadja Uhl, die Schauspielerin. Mathias Döpfner. Und Kai Diekmann, der Chefredakteur von Springers wichtigster Zeitung, der Bild.

Nicht weit weg von der alten Grenze haben sie viele der Villen gekauft, die hier stehen, weil die Stadt einst Residenz der preußischen Könige war. In Springers nicht ganz so wichtiger Zeitung Welt stand, dass sich Döpfner in Potsdam begraben lassen will.

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Wo früher die Grenze war, ist heute Gesamtdeutschland. Von überallher ziehen die Leute nach Potsdam. Nicht nur die Prominenten. Wohnungen sind knapp und teuer. Wenn es einen Ort gibt, an dem das zusammenwächst, was zuvor 40 Jahre getrennt war, dann hier.

Potsdam ist so hübsch wie Berlin unansehnlich. Als hätten die alten Herrscher Preußens alle Schönheit aus ihrer Hauptstadt in ihre liebste Residenz mitgenommen. Herrenhäuser, Parks, viel Ambiente. Wie im Märchen. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gibt viel Geld aus dafür, dass das so bleibt. Und weil das Geld nicht ausreicht, gibt auch Mathias Döpfner welches. Für mehrere Millionen will er einen Park um zwei Villen, die ihm gehören, so sanieren lassen, dass sie wieder so aussehen wie in der guten alten Zeit.

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Dominika Hörstel fand es schön, wenn ihre Kinder die Natur erkundet haben. Doch dann stand da vor ein paar Wochen plötzlich der Zaun. Der verwilderte Park, den Döpfner herrichten lassen möchte, ist nicht mehr zu betreten. „Wir wollen eigentlich zusammenleben wie gute Nachbarn“, sagt Dominika Hörstel. Doch Döpfner wolle das Grün für sich. Es gibt eine Bürgerinitiative und die Hebamme Dominika Hörstel ist ihr Gesicht. Sie fordern: Der Zaun muss weg!

Es gibt in Potsdam einige solcher Geschichten. Wege um Seen, die früher alle gehen durften, und dann waren da plötzlich Absperrungen. Die neuen Eigentümer der Wassergrundstücke wollten keine Spaziergänger mehr.

Und wo sich die Potsdamer früher in den königlichen Parks einfach auf den Rasen fläzten, dürfen sie heute nicht einmal mehr auf den Wegen Fahrrad fahren. Auf manchen darf man das Rad nicht einmal schieben. Der Wachschutz, der das überwacht, heißt Fridericus. Fridericusleute sollen es auch gewesen sein, die Dominika Hörstel und ihre Bürgerinitiative daran hindern wollten, Protestplakate am Döpfner’schen Maschendrahtzaun anzubringen. Auch das ist wie im Märchen. Der reiche Wessi macht sich den armen Osten untertan.

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In der Stadtmitte gibt es noch DDR. Ihre Bauten rotten vor sich hin. Im Globus-Grill an der Kanalstraße ist die Bedienung nur zu den Stammgästen nett. Ein halbes Hähnchen mit Salat plus Rex Pils gibt es für unter sechs Euro. „Hier kann man wenigstens noch hingehen“, freut sich einer, der seinen Braunen bekommt, ohne ihn bestellen zu müssen. „Kann man sich noch leisten“, sagt er. Und: „Sonst gehört doch alles schon dem Jauch und dem Semmelhaack!“

Niemand besitzt in Potsdam so viele Wohnungen wie Theodor Semmelhaack aus Elmshorn. Der Mann im Imbiss neidet Semmelhaack nicht nur die Immobilien. „Hat ja jetzt so eine Pornofrau geheiratet mit so dicken Dingern vorne dran.“

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Reich, arm, Westen, Osten. Wäre Potsdam ein Film, das Drehbuch wäre ziemlich platt.

Dabei hat Theodor Semmelhaack nur deshalb so viele Wohnungen, weil sie ihm Potsdams Politiker günstig verkauft haben. Den Stalinismus auf den Parkwiesen hat Günther Jauch nicht verordnet, sondern die landeseigene Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Und Döpfners schärfste Gegnerin, Dominika Hörstel, ist keine Ostdeutsche. Sondern aus München. Auch eine Stadt mit viel Ambiente, Schloss und Königsglanz.

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Der Unterschied zwischen München und Potsdam mag der sein, dass der einzige bayerische König, an den man sich noch erinnert, ein Hippie war, ein sympathischer Loser. Ludwig II. ließ sich das Märchenschloss Neuschwanstein bauen und ertrank später im Starnberger See. In Potsdam sind es ein lustfeindlicher Bürokrat, der „Soldatenkönig“, und dessen angeblich kunstsinniger, eigentlich aber ziemlich kriegslüsterner Sohn. Friedrich der Große. Erfolgreiche Ekel, alle beide.

Verkrampft sind die Diskussionen darüber, was in Potsdam wieder aufgebaut wird und was nicht. Gruppen mit Namen wie „Mitteschön“ wollen aus der Innenstadt ein Preußendisney machen, weg mit allem, was an die DDR erinnert. Das rosa Stadtschloss steht schon wieder. Die Garnisonkirche, in der Adolf Hitler als Machtdemonstration der Nationalsozialisten den „Tag von Potsdam“ inszenieren ließ, noch nicht. Das kulturelle Zentrum der Stadt an der Schiffbauergasse, wo das Hans-Otto-Theater neben dem Club „Waschhaus“ steht, sieht nach den letzten Sanierungen aus wie ein Exzerzierplatz mit Kasernen.

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Dominika Hörstel mag das Verwilderte, Struppige an dem Park nebenan. Rehe und Füchse gebe es dort. Waschbären wohl auch. Und deswegen greifen sie und ihre Bürgerinitiative zum Hochsymbolischen. Am 9. November, Tag des Mauerfalls, wollen sie groß am Zaun des Springer-Chefs protestieren. Mit Clown für die Kinder.

Wieland Eschenburg versteht das nicht. Er ist kein Neupotsdamer. Er ist ein Neupotsdamerversteher und findet toll, was Leute wie Mathias Döpfner für seine Stadt tun. In einer Ausstellung sind alte Filme zu sehen, die junge Vollbartträger in Jesuslatschen zeigen. Sie befreien das Belvedere, ein königliches Aussichtsgebäude auf dem Potsdamer Pfingstberg, vom Pflanzenwuchs. Die DDR hatte das Belvedere verkommen lassen und auf den letzten Stadtplänen, die in volkseigenen Betrieben noch gedruckt wurden, schon gar nicht mehr eingezeichnet. Eschenburg war einer der Männer mit den Jesuslatschen. 3.000 Menschen kamen im Juni 1989 zum Pfingstbergfest, einer Kulturdemonstration. Eschenburg ist stolz darauf. Für ihn ist der Pfingstberg ein Bürgerort geblieben. „Es gibt sogar Fahrradständer dort“, sagt er, und bei den klassischen Konzerten sei das Rasenbetreten ausdrücklich erwünscht.

Er sei sehr dankbar dafür, dass sich der Versandhauskönig Werner Otto und der Tabakerbe Hermann-Hinrich Reemtsma an der Sanierung des Belvedere beteiligt haben.

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Für das Stadtschloss, das nach dem Krieg Ruine war und 1959 abgerissen wurde, hat Softwaremilliardär Hasso Plattner viel Geld ausgegeben. Dafür dankt ihm die Stadt auf einer ehernen Tafel. Günter Jauch hat das Fortunaportal des Schlosses bezahlt, er hat sein eigenes Stück Metall an der Wand. Es musste vor Kurzem erneuert werden. Jemand hatte es zerstört.

Über die Lange Brücke, über die Eisenbahnstränge am Hauptbahnhof, führt der Weg in eine der noch zu Zeiten der DDR erbauten Großsiedlungen am Rande der Stadt, in den Schlaatz. Im Novembernebel sieht es hier angenehm traurig aus.

Preußen begegnet einem im Schatten der Betontürme nur auf den Etiketten der Flaschen mit Potsdamer Rex Pils. Da ist der Alte Fritz drauf, Friedrich der Große. „Wir sind ein Durchgangsbezirk“, sagt Benjamin Riese, der als Erzieher im Jugendclub Alpha-Team arbeitet. Wer nach Potsdam komme und noch wenig Geld habe, der ziehe erstmal hierher. Wenn die Leute mehr verdienen, gehen sie weg. „Und dann“, sagt Riese, „gibt es noch die, die übrig blieben.“ Die sind seine Arbeit.

Zwischen gelb-rot gestrichenen Wänden zocken ein paar Bubis an der Playstation. Ein Mädchen fragt, ob sie an den Computer darf, und ein groß gewachsener junger Mann sitzt an einer Nähmaschine.

Ted Statnik repariert eine Jogginghose. Er macht im nächsten Frühjahr Abitur. Er weiß schon irgendwie, wofür Potsdam steht. „Viel Grün gibt es da. Und viel Kultur.“ Er selbst macht Breakdance. Das hat er im Jugendclub gelernt, inzwischen leitet er selbst Workshops. Auch jenseits der Brücke, im Kulturquartier an der Schiffbauergasse – nicht weit weg von den Villen, in denen die Jauchs und Döpfners wohnen.

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Ein Schirrhof war das Gelände an der Schiffbauergasse früher, mit Pferden für die Könige. Alles saniert. Grau der Platz, grau das Drumherum an Häusern. Die Schauspieler der französischen Truppe Théatre du Balèti wälzen sich in wildem Kampf um ein Jesuskreuz in brauner Erde. So ist die Betonfläche als Kulturlandschaft erkennbar.

Jedes Jahr gibt es hier das internationale Off-Theater-Festival Unidram. Und die gepflegte Unordnung an diesem Tag könnte auch dem Schlaatzer Ted Statnik gefallen. Doch das da drüben wird wohl nie seine Welt werden.

Der Erzieher Benjamin Riese hält es noch strenger. Er meidet Potsdams Mitte. „Ich fahre schon nicht mehr über die Brücke“, sagt er. „Was soll ich da?“

Er schwärmt von seiner Arbeit mit den Jugendlichen. Was ihn nervt, ist das Schreiben von Anträgen für die Behörden. Das Swamp Open Air Breakdance & Graffiti Jam, eine Art Stadtteilfest mit Tanzen und Musik, ist mit Fördergeldern finanziert. Ein Mäzen würde auch Benjamin Riese helfen. Ein Günther Jauch, ein Hasso Plattner.

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Der Schlaatz hat auch eine Berühmtheit. Susann Prinzessin von Preußen. Sie ist mit ihrem Mann Franz Friedrich vor zehn Jahren nach Potsdam gezogen. Bei den Kommunalwahlen im Mai trat sie als unabhängige Kandidatin für die Potsdamer Demokraten an. Mit ihren zwei Hunden, die sie unter ihre ausladenden Locken drapierte, ließ sie sich vor einem Neubau im Schlaatz ablichten und plakatierte damit den Stadtteil.

„Preußen!“, meldet sie sich am Telefon, schön schmissig. „Das Plakat ist jetzt schon ein Sammlerstück“, sagt sie. Für einen Sitz im Stadtparlament hat es trotzdem nicht gereicht. Leider seien während des Wahlkampfs ihre Hunde krank geworden und hätten in Berlin operiert werden müssen. „Sie können sich ja vorstellen, was da los war.“

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Über 14.000 Menschen haben in einem Bürgerbegehren gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche gestimmt, für den schon wieder einige Mäzene bereitstehen. Verteilungskämpfe. Zwischen den Neuen und den Alten, den Wohlhabenden und denen mit weniger Geld. Zwischen Preußen-Potsdam und Platten-Potsdam.