„Die anderen Länder freuen sich“

Spitzenkräfte wandern längst in andere Staaten ab, kritisiert der Migrationsforscher Klaus Bade

KLAUS J. BADE, 63, ist Historiker und Migrationsforscher. Er ist Begründer und Vorstandsmitglied des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück und des bundesweiten Rats für Migration.

taz: Herr Bade, in Deutschland herrscht Fachkräftemangel, deshalb würden Unternehmer gern qualifizierte Migranten ins Land holen. Rechtlich ist das aber schwierig. Was muss passieren?

Klaus J. Bade: Wenn man Zuwanderung einigermaßen passgerecht steuern will, sollte man von anderen Ländern lernen. Die besten Erfahrungen gibt es mit dem kanadischen Punktesystem, bei dem die Zuwanderer, die man haben will, nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden. Dieser Vorschlag stand schon im Bericht der sogenannten Süssmuth-Kommission von 2000/2001. Er wurde mit populistischem Gedöns gestrichen. Das gleiche Schicksal ereilte 2004 die vom Zuwanderungsrat vorgeschlagene „Engpassdiagnose“ für arbeitsmarktbezogene Zuwanderung. Aber jetzt gibt es erfreulicherweise eine leichte Bewegung.

Warum tun sich CDU und auch ein großer Teil der SPD so schwer damit?

Das liegt an der Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderung. Sie wird als Bedrohung und nicht als Hilfe von außen gesehen, die man steuern kann. Zwei Jahrzehnte lang ist gepredigt worden, die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland, Zuwanderung schafft nur Probleme. Dass das falsch war, weiß heute jeder. Aber es ist den Wählern schwer zu vermitteln. Hinzu kommt ein falscher Protektionismus. Es herrscht die Vorstellung, dass Migration zu unnötiger Konkurrenz am Arbeitsmarkt führt. Das ist falsch. Gesteuerte Migration schafft Arbeitsplätze, das zeigen die Erfahrungen im Ausland. Die meisten Stellen in den USA im innovativen Bereich werden von Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen. Die Engländer und die Schweizer denken über ein Punktesystem nach, die Tschechen haben den Vorschlag der Süssmuth-Kommission sogar übernommen.

Wie beurteilen andere Länder das deutsche Vorgehen?

In den überseeischen Einwanderungsländern gibt es nur zwei Handbewegungen: das Tippen an die Schläfe und das Händeklatschen. Die freuen sich, dass wir so dumm sind, denn dann sind wir keine Konkurrenz um die besten Köpfe.

In der Politik wird immer häufiger unterschieden zwischen qualifizierten, also nützlichen Migranten und solchen, die die Sozialsysteme belasten. Für Letztere erschwert Schwarz-Rot derzeit die Zuwanderung. Warum eröffnet sie nicht zugleich Möglichkeiten für Hochqualifizierte?

Dieses Gegenrechnen ist in höchstem Maße geschichtsfern. Die Bundesrepublik hat seinerzeit einen organisierten Unterschichtenimport betrieben und sich nicht um die Integration der sogenannten Gastarbeiter gekümmert. Heute beschwert man sich, dass aus diesen Leuten keine Nobelpreisträger geworden sind. Wir sollten endlich daran denken, dass dieses ständige Herumgenörgel an ihrer Integrations- und Leistungsfähigkeit den Integrationsprozess stark belastet. Das alles hat aber mit dem anderen Bereich überhaupt nichts zu tun.

Ist denn Deutschland für Hochqualifizierte attraktiv?

Derzeit nur bedingt, schließlich ist die Zuwanderung Höchstqualifizierter von über 2.000 im Jahr 2004 auf 900, vielleicht sogar nur 700 im ersten Jahr des Zuwanderungsgesetzes zurückgegangen. Machen wir uns nichts vor: Die erste Garnitur bekommen wir sowieso nicht, die gehen in die USA oder nach England. Aber auch die zweite Garnitur sind noch hervorragende Leute, die wir gut brauchen könnten. Auch die kommen nicht im erwünschten Umfang. Sie gucken, wo sie die besten Entwicklungschancen haben – und warum sollten sie in ein Land gehen, aus dem Höchstqualifizierten abwandern? Das ist unser Problem. Deutsche Spitzenkräfte wandern ab, und ausländische machen einen Bogen um dieses Land. Auch andere Länder, etwa England, haben ein Brain-Drain-Problem, sie kompensieren das aber durch aktive Migrationspolitik. Und genau das tun wir nicht. INTERVIEW: SABINE AM ORDE