Ganz viel Frieden

Kein Aufruf zum Krieg, keine Belege für Steinewerfer: Die Berichterstattung der Nachrichtenagenturen zu den G-8-Protesten strotzt vor Fehlern

AUS KÜHLUNGSBORN MALTE KREUTZFELDT

„Friedliche Proteste erneut eskaliert.“ „Steine flogen in Richtung von Polizisten.“ Mit diesen oder ähnlichen Sätzen begann am Donnerstag die Berichterstattung vieler Medien über die Sitzblockaden bei Heiligendamm, an denen sich am Mittwoch viele tausend Menschen beteiligt haben. Die dramatischen Aussagen beruhen meist auf Meldungen der großen Nachrichtenagenturen dpa (Deutsche Presseagentur) und AP (Associated Press). Bei den OrganisatorInnen der Proteste und vielen vor Ort anwesenden JournalistInnen sorgen die Meldungen für Verwunderung: Bei den großen Sitzblockaden blieben die Demonstranten nach übereinstimmenden Aussagen friedlich. Steine hat dort niemand fliegen sehen.

Wie sind die Meldungen zustande gekommen? „Die Angaben über Steinwürfe beruhen ausschließlich auf Angaben der Polizei“, sagte dpa-Sprecher Justus Demmer am Donnerstag zur taz. Obwohl die Agentur mit mindestens 15 Mitarbeitern bei den Protesten vor Ort war, wisse er derzeit von keinem Reporter, der selbst etwas davon mitbekommen habe. Auch dpa-Fotos von Ausschreitungen seien ihm bisher nicht bekannt, sagte Demmer. In den ersten Meldungen hatte dpa noch geschrieben, dass es „nach Angaben der Polizei“ zu Steinwürfen gekommen sei. In späteren Zusammenfassungen fiel diese Einschränkung weg - wohl aus Zeitdruck und Personalchaos. Plötzlich las sich scheinbar neutral: „Polizisten schlugen mit Gummiknüppeln zurück, als Steine auf sie niedergingen.“ Auch AP berichtete über die Steinwürfe in späteren Zusammenfassungen ohne Nennung einer Quelle.

Die Berichterstattung habe auch intern durchaus für Kontroversen gesorgt, räumte dpa-Sprecher Demmer ein. „Wir sind in der Diskussion, ob das handwerklich korrekt war.“ Ähnlich die Situation bei AP: „Unsere Angaben beruhten ausschließlich auf Angaben der Polizei. Wenn die Quelle nicht dabei stand, ist das nicht hundertprozentig in Ordnung“, sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig zur taz.

Öffentlich entschuldigt hat sich die Deutsche Presseagentur unterdessen für einen fehlerhaften Bericht von der Abschlusskundgebung bei der Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock. Ein dpa-Korrespondent hatte geschrieben, dass ein Redner während der Ausschreitungen „die militante Szene noch mit klaren Worten aufstachelt“ und ihn mit folgenden Worten zitiert: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“ Viele Zeitungen brachten dieses Zitat am nächsten Tag sogar als Überschrift. Später erklärte dpa dann, es habe sich um einen Übersetzungsfehler gehandelt; der Redner – es handelte sich um den prominenten Globalisierungskritiker Walden Bello, Träger des Alternativen Nobelpreises – habe lediglich gegen den Irakkrieg protestieren wollen. Nach Sichtung eines Mitschnitts der Rede musste die größte deutsche Presseagentur dann einräumen, dass das angebliche Zitat nie gefallen war. „Die sinnentstellte Fassung des Zitats in den Meldungen der dpa ist auf einen Übermittlungsfehler zurückzuführen, für den dpa allein die Verantwortung trägt. […]. Wir bitten – auch mit Blick auf den betroffenen Redner Walden Bello – um Entschuldigung“, schreibt dpa in einer Erklärung. Was dieser tatsächlich gesagt hatte, war nämlich das Gegenteil von aufstachelnd: „Ohne Frieden gibt es keine Gerechtigkeit.“

G-8-Beilage SEITE 25