Vorname: Jihad

BEGEGNUNG Der Psychiater Jihad Alabdullah betreut syrische Flüchtlinge in Berlin. Seinen Vornamen hat er schon mal geändert – um eine Wohnung zu bekommen

VON ALEM GRABOVAC
(TEXT) UND STEFAN BONESS (FOTO)

Auf der Suche nach dem Dschihad – nein, nicht auf der Suche nach dem Dschihad, dem Heiligen Krieg. Ich suche eine Person, einen Mann, dessen Vorname Jihad (auf Deutsch Dschihad ausgesprochen) lautet. Jihad ist in der arabischen Welt ein geläufiger männlicher Vorname. Aber wie lebt es sich in Deutschland mit solch einem Vornamen?

So schwer ist es nicht, einen Herrn namens Jihad in Berlin zu finden. Man muss einfach nur ein wenig „googeln“: Auf der Homepage der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin findet sich die persönliche Webseite von Dr. med. Jihad Alabdullah. Seine Kurzbiografie klingt vielversprechend: Studium der Medizin in Damaskus, Syrien; ärztliche Tätigkeit an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Damaskus, seit 2006 Arzt an der Charité Berlin, Klinik für Psychiatrie. Unter klinischer Schwerpunkt steht noch: Integrierte Behandlung von affektiven Störungen (Depression und bipolare Störung) sowie Behandlung von arabischsprachigen Patienten.

Auf der Webseite gibt es auch ein Foto von Herrn Jihad Alabdullah – dort blickt er eher etwas grimmig und abweisend. Aber gut, ist ja nur ein Foto, vielleicht war er an diesem Tag nicht so gut drauf? Nicht abschrecken lassen: Hier steht die Telefonnummer.

Zunächst ist er skeptisch, auch ein bisschen erstaunt. Ich erläutere ihm mein Anliegen, er googelt mich, fasst langsam Vertrauen. Es hilft, dass ich auch einen muslimischen Vornamen trage. Er wird lockerer, schlägt mir mit seinem starken arabischen Akzent einen Termin für nächste Woche vor. „Nein, nein, sage ich, es müsste schon morgen sein.“ Er überlegt und überlegt und sagt schließlich: „Na gut, aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss in der Klinik arbeiten. Ich kann Ihnen eine Dreiviertelstunde anbieten.“

Die Klinik befindet sich in Berlin-Charlottenburg. Vor den schönen alten Häusern und Villen stehen ausschließlich hochwertige Autos. Es gibt ein paar afrikanische Botschaftsgebäude, und in den kleinen engen Straßen wehen die Blätter der Kastanien- und Ahornbäume verwunschen in der untergehenden goldenen Oktobersonne. Alles sehr schick hier: Nur das Krankenhaus ist hässlich. Ein klotziger Neubau aus den 1960er Jahren.

Um Punkt 17 Uhr melde ich mich beim Pförtner an. Zwei Minuten später holt mich Herr Dr. med. Jihad Alabdullah am Empfang ab. In der Realität sieht er viel freundlicher und jünger als aus auf dem Foto der Homepage. Er hat kurze, schwarze Haare, trägt eine Brille und einen weißen Arztkittel. In der Brusttasche stecken ein paar Stifte, und gleich darunter befindet sich ein Namensschild, das ihn als Arzt der Klinik ausweist.

Eine Landkarte von Syrien

Mit einem düsteren Aufzug fahren wir in den 1. Stock. Die Gänge sind dunkel und grau, die Türen alle geschlossen. Hinter einer dieser Türen liegt sein kleines Büro: viele schwarze Leitz-Ordner, ein Computer, ein Schreibtisch, stapelweise Papierkram, kurzum: ein typisches deutsches Bürozimmer. Das einzig Persönliche, das ich erkennen kann, ist eine an der Wand aufgehängte Landkarte von Syrien. „Dieses Zimmer ist zu klein“, sagt er. Wir gehen in einen benachbarten Seminarraum. Der Seminarraum ist kahl und hässlich.

Jihad Alabdullah wurde am 7. November 1977 in Homs, Syrien, geboren. Er hat vier Brüder, drei von ihnen leben noch in Syrien. Seine Eltern sind mittlerweile in Ägypten, er wohnt seit 2006 in Deutschland. Er ist verheiratet, hat einen kleinen Sohn und eine kleine Tochter.

„In Syrien“, sagt er, „gibt es viele Menschen, die Jihad heißen.“ Dort sei dieser Name nichts Ungewöhnliches. Sein Vater habe ihm diesen Namen gegeben, aber er habe ihn nie gefragt, weshalb er diesen für ihn ausgesucht habe. Als Kind wurde er nie auf den Namen angesprochen, es war einfach nur ein ganz normaler Name. Erst nach dem Terroranschlag von al-Qaida am 11. September 2001 habe er diesen Namen bewusst mit dem Dschihad assoziiert. Sie seien damals junge Medizinstudenten in Damaskus gewesen und träumten von einem besseren Leben in den USA oder in Europa. Und so halb im Scherz haben sie damals gesagt, dass sie als „Osama“ oder „Jihad“ niemals ein Arbeitsvisum für diese Länder bekommen würden. Aber letztendlich hat es dann doch geklappt.

„Und wie war es dann in Deutschland? Gab es dort Vorurteile oder gar Anfeindungen?“ „Nein“, sagt er, „die Menschen hier haben mich immer höflich und korrekt behandelt. Es gab keine Probleme.“ Nur einmal, Mitte 2006, habe irgendjemand seinen Briefkasten angezündet. Er habe dies der Polizei gemeldet. Er glaube aber, dass dies nicht an seinem Vornamen, sondern an seinem arabischen Namen an sich lag.

Dann schmunzelt er. „Eine Geschichte mit meinem Vornamen habe ich für Sie. Vor zwei oder drei Jahren habe ich mich um eine Wohnung beworben. Na ja, und dann habe ich mir gedacht, dass ich mit meinem Vornamen ein wenig schummle. Ich habe das H in Jihad weggelassen, habe mich also Jiad genannt, weil ich nicht wollte, dass sie meinen Namen mit dem Dschihad in Verbindung bringen. Und das hat geklappt. Ich habe die Wohnung bekommen.“

Ein guter Mensch sein

Ich erzähle ihm eine Anekdote zu seinem Vornamen: Vor ein paar Jahren hat ein terrorverdächtiger Islamist in Berlin seinen neugeborenen Sohn Jihad genannt. Das Standesamt hat den Namen abgelehnt. Das Amtsgericht Schöneberg wies den Beamten ein Jahr später an, den Namen einzutragen. Dagegen legte die Senatsinnenverwaltung als Aufsichtsbehörde für die Standesämter Beschwerde ein. Die Behörde vertrat die Auffassung, dass der Name nicht nur für ein „Bemühen um den richtigen Weg“ stehe, sondern in seiner kriegerischen Bedeutung „Tod den Christen und den Juden“ enthalte. Das Berliner Landgericht befand dagegen, dass Dschihad ein in der islamischen Welt geläufiger Vorname sei, und wies die Beschwerde des Berliner Senats zurück. Ich frage ihn, was er von diesem Fall hält.

„Das Gericht hat absolut richtig entschieden“, sagt er mit überzeugter Stimme. „Mein Name Jihad bedeutet im arabischen Mühe, Mühsal. Der Jihad ist einer der fünf Grundpfeiler im Islam, er bedeutet die permanente Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Bösen in der Welt. Es geht um die Anstrengung, um den Kampf, in der Arbeit und im Leben ein guter Mensch zu sein.“ Und nur weil ein paar Fanatiker und Radikale diesen Namen missbrauchen würden, dürfe man diesen nicht verbieten. Die Dschihadisten von Boko Haram oder der Terrormiliz der IS verstünden den Islam falsch: „Das sind Radikale, die keine wahrhaftigen Muslime sind.“

Am Ende des Gesprächs reden wir noch ein wenig über seine Arbeit. Leider, sagt er, seien die meisten Patienten aus dem arabischen Raum immer noch Frauen. In der muslimischen Welt ist der Gang zu einem Psychiater oder Psychologen immer noch stigmatisiert. Im Moment behandle er viele traumatisierte syrische Flüchtlinge. „Täglich“, sagt er, höre er „den Horror“.

Und wie verarbeitet er diesen Horror persönlich? Wenn es wirklich ganz schlimme Geschichten sind, spreche er mit seiner Frau darüber. Außerdem mache er sich auch Notizen, schreibe diese Erzählungen auf. Nach dem Schreiben fühle er sich dann meistens erleichtert. „Und auch die Anerkennung hilft“, sagt er. „Ich tue etwas für mein Land, für meine Leute, und wenn ich merke, dass meine Arbeit ihnen hilft, schöpfe ich Kraft daraus.“