Der Mann, der Generationen verbindet

Leo Trepp ist der letzte Rabbiner aus Vorkriegsdeutschland – und der Verfasser vieler wichtiger Werke zum Judentum. Seine Heimat ist seit Jahrzehnten Kalifornien; trotzdem engagiert er sich für jüdische Kultur in Deutschland. Morgen spricht der 94-Jährige im Jüdischen Gemeindehaus in Charlottenburg

Viele Menschen hören Trepp zu, weil er gern über sein bewegtes Leben erzählt

VON IGAL AVIDAN

Rabbiner Leo Trepp ist wieder in Berlin, freut sich über „Don Carlo“ in der Staatsoper und auf die „schönsten Franzosen“ in der Nationalgalerie; hier trifft er Freunde und spricht über jüdische Geschichte und Religion. Der Saal dürfte voll werden, weil der 94-Jährige viele bedeutende Werke zum Judentum verfasst hat, im christlich-jüdischen Dialog aktiv ist – und immer noch sehr lebendig und mit fester Stimme vorträgt. Viele Menschen hören Trepp auch zu, weil er der letzte Rabbiner aus Vorkriegsdeutschland ist und gern über sein bewegtes Leben erzählt.

Für ein „Überbleibsel aus der Vergangenheit“, wie er sich humorvoll nennt, wirkt Trepp im Gespräch sehr energisch. Vielleicht wegen seiner glücklichen Partnerschaft mit der 46 Jahre jüngeren Autorin und Journalistin Gunda Wöbken-Ekert. Seit 2003 leben sie gemeinsam – im Winter in Kalifornien, im Sommer pendeln sie zwischen Mainz und Berlin. Zusammen schrieben sie das Buch „Dein Gott ist mein Gott – Wege zum Judentum und zur jüdischen Gemeinschaft“.

Nach einem Abschiedskuss geht sie spazieren, er zündet seine Pfeife an und beginnt mit seiner Reise in die Vergangenheit. Geboren wurde er im Kaiserreich, aufgewachsen ist er in der Weimarer Republik, als Rabbiner diente er in der Nazidiktatur. Die jüdische Tradition sowie die Sucht nach Opernmusik und Weltliteratur erbte Trepp von seinem Vater. Nach dem Prinzip von „Tora und Weltkultur“ – dem Motto vieler deutscher Juden – lernte er als Kind die Bibel und den Talmud, aber auch Shakespeare und Schiller, Kunst und vor allem die Musik. „Die Oper ist mir bis heute eine Sucht geblieben – vorzüglich Verdi und Gounod.“ Etwas verschämt fügt er hinzu: „Ich muss sagen, dass ich viel von Wagner sehr gut finde.“ Dann singt er auf Anfrage mit tiefer, fester Stimme die Segensprüche des Neujahrsgebets – und seine Augen leuchten.

Als Junge sang er diese sogenannten Nigunim in der neoorthodoxen Synagoge zu Mainz. Glücklichweise sammelte Trepp diese liturgischen Melodien und brachte sie 2004 als Notenanhang zusammen mit einer CD heraus, auf der sie eingesungen sind. Auf dem Cover ist der prächtige Innenraum der Synagoge, die von den Nazis abgefackelt wurde.

Die Trepps waren streng orthodox und schalteten zum Beispiel am Sabbat das Licht nicht ein. „Wir hatten eine Maschine, die Freitag abends automatisch das Licht ausmachte.“ Sie hielten koscher, aber liebten die deutsche Küche. „Wir hatten in Frankfurt einen wunderbaren koscheren Metzger entdeckt. Er hatte tolle dicke Frankfurter Würstchen, Schwademagen, Leberwurst, alles koscher!“ Er durfte am Sabbat in die Schule gehen, aber nicht schreiben. Denn Schreiben ist eine der Tätigkeiten, die im Talmud als „Arbeit“ angesehen wird und daher den Juden an diesem Tag verboten ist.

Nach dem Abitur schrieb sich Trepp ab 1931 an der Universität Frankfurt für Philosophie und romanische Sprachen ein. Gleichzeitig studierte er die Bibel und jüdische Philosophie an der jüdischen Hochschule. Um seine Studien noch zu erweitern, ging er 1932 zum orthodoxen Rabbinerseminar in der Tucholskystraße in Berlin. Zudem begann er an verschiedenen Synagogen in der Stadt zu predigen.

1933 beobachtet er den Fackelzug zu Hitlers Machtergreifung und sagt einem jüdischen Freund: „Die Verfassung können die Nazis nicht ändern.“ Doch wenig später sieht er auf der Fahrt ins Seminar von der S-Bahn aus den verbrannten Reichstag. Seine Zuversicht verpufft schnell. Trepp geht 1936 als Landesrabbiner nach Oldenburg. Er besucht Juden im Gefängnis, verhilft anderen zur Emigration und errichtet sogar eine neue jüdische Schule für die Kinder, die aus Staatsschulen hinausgeworfen wurden. Predigen muss der junge Rabbi sehr vorsichtig, „denn in der letzten Bank saßen immer Gestapo-Agenten“.

Von dieser dunklen Zeit erzählt Trepp ohne jede Bitterkeit. Manches kann er nicht vergessen. So zum Beispiel, dass es regnete an jenem Tag im Jahr 1938, als er zusammen mit den anderen Häftlingen zum Paradeplatz im KZ-Sachsenhausen geführt wurde. „Der Kommandant brüllte, wir seien der Abschaum der Menschheit und verdienten überhaupt nicht zu leben.“ Trepp erwartet den Erschießungsbefehl. Er betet: „Lieber Gott, ich sterbe für Dich, wenn es nötig ist.“ Der Befehl kommt nicht. Einen Monat später verlässt Trepp mit seiner Frau das Land, in dem seine Vorfahren fast fünf Generationen lebten, und wandert in die USA aus. Seine Mutter wurde in Auschwitz später ermordet. Zur Heimat wird ihm Kalifornien.

Dennoch besuchte Trepp Deutschland immer wieder und seit 1983 unterrichtet er jeden Sommer an der Mainzer Universität. In Oldenburg unterstützte er den Aufbau der jüdischen Gemeinde, und seit 16 Jahren spricht er jeden Sommer in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dabei wirkt er immer jünger – ganz so, als ob die Zeit stehen geblieben ist.

Leo Trepps Vortrag „Die Bedeutung des Staates Israel für Juden und Christen“ findet am Donnerstag um 20 Uhr im Jüdischen Gemeindehaus, Fasanenstr. 79–80, in Charlottenburg statt