Den Kapitalismus abschalten

Schriften zu Zeitschriften: Die „Kommune“ betreibt linke Trauerarbeit und bringt noch einmal einen Schwerpunkt zur RAF, „Kultur & Gespenster“ freut sich über den Geist der Anarchie und arbeitet sich an Wolfgang Kraushaar ab

Die Gewaltfrage kann urplötzlich beim zweisamen Couchgespräch vor dem Fernseher auftauchen: Hast du schon mal jemanden töten wollen, mehr oder weniger in Gedanken, aber dennoch ohne innere Zweifel? Wenn gerade ein Krimi läuft, wirkt solche bierselige Spekulation meist selbstgefällig. Doch wer einmal Todesangst oder eine drohende Vergewaltigung erlebt hat, der hat auch dann eine konkrete Empfindung.

Angesichts von vermummten Steinewerfern auf dem Bildschirm stellt sich die Frage diesseits der Notwehr: Wer von denen würde abdrücken, wenn er statt des Steins eine Knarre in der Hand hält? Das dargebotene bizarre Aufstandspiel mit allerlei einstudierten militanten Taktiken ist ja nicht nur ein folgenloses theatralisches Ritual. In der leidenschaftlichen oder coolen Gewalttat offenbart sich eine immanente Symbiose aus Spiel und Ernst. Alles könnte stets in Sekundenschnelle kippen; der Grat ist schmal und zudem unsichtbar. Man kann durchaus ins Sinnieren geraten über die Überlebenschancen von George W. Bush oder des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann auf Rostocker Seitenstraßen am Samstag. Ussama Bin Laden hätte höhere gehabt.

Das psychologische Fantasieren über die Gewalt befeuert auch die RAF-Debatte, über deren Wiederaufflammen viele seit Monaten nur den Kopf schütteln können. Alles schien dazu seit Jahren geschrieben und gesagt. Der RAF-Themenschwerpunkt im aktuellen Heft der Kommune zeigt noch einmal, warum dies dennoch eine Vergangenheit ist, die nicht vergehen will: Obwohl der lange Abschied von der Revolution 1968 ff. so eindeutig und nachhaltig ausfiel, fehlte es angesichts des überstandenen kollektiven Wahns an „linker Trauerarbeit“, so Martin Altmeyer. Am 20. Mai 1973 hatte Ulrike Meinhof an Horst Mahler über die Möglichkeiten von Befreiung und Heilung geschrieben: „Gewalt gegen die Schweine: Knarre, Bewusstsein, Kollektiv.“ Um „Komplexitätsreduktion mit der Waffe“ (Herfried Münkler) geht es. „Der Feind ist unsre eigne Frage als Gestalt“, wusste bereits Carl Schmitt. Und mit der Auslöschung des Feindes hofften die Täter daher, sich von allen inneren Fragen und Widersprüchen zu erlösen.

Moralisch hätte die Grenze zu solcher Inhumanität von vielen Linken Kurt Edler zufolge leicht überschritten werden können: „Seien wir ehrlich: dass die RAF in ihrem Werben um Mittäter so erfolglos blieb, … lag nicht an der Moralität des Widerspruchs, sondern – typisch für die neomarxistische Linke damals – am strategischen Realismus all jener am Diskurs Beteiligten, die den RAF-Gründern damals widersprochen haben.“ Interessant wird es wieder in der psychologischen Fantasie: Wer von den heute in ihren Funktionen agierenden Ex-K-Grüpplern und einstigen Maoisten hätte nach einer erfolgreichen Revolution „im Dienste der Sache“ Hinrichtungslisten unterschrieben, irgendwann Abweichler „notgedrungen“ liquidiert oder solche Taten in Artikeln gerechtfertigt? Diese existenzielle Unsicherheit über die furchtbaren Möglichkeiten des eigenen Ichs, über die knapp entronnenen Folgen ideologischer Verblendung rumort individuell. Sie dürfte heute die von Ewiggestrigen und ignorant-romantischen Kulturlinken belächelte und befehdete linke Trauerarbeit von Koenen, Kraushaar & Co. antreiben.

„Und Wolfgang Kraushaar bestimmt, was über die Linke noch zu denken ist“, meint denn auch pseudoprovokativ der unschuldig nachgeborene Jan-Frederik Bandel, Mitherausgeber von Kultur & Gespenster. Sein denkwürdiges Interview mit Hanna Mittelstädt und Lutz Schulenburg, den jahrzehntelangen Machern des Verlags Edition Nautilus, ist eine Performance über linkes Denken, die situationistische Bewegung, über Politik, Revolution, Kultur, Literatur, Franz Pfemferts Zeitschrift Die Aktion, kurz: eine mal dämlich-befremdliche, mal anarchisch kreative Wahnwelt mit antiautoritären Genen. Die Knarre wird von Schulenburg trotz aller verbaler Sprengsätze zum Glück im Schrank gelassen: „Der Kapitalismus muss sofort abgeschaltet werden und zwar schnell, weil dann das, na ja …“ Wer fühlte sich dabei nicht an die ähnlich inhaltsschweren Botschaften des G-8-Protest erinnert? ALEXANDER CAMMANN

Kommune, Heft 3, Juni/Juli 2007, 10 €, www.oeko-net.de/kommune Kultur & Gespenster, Nr. 3, 12 €, www.kulturgespenster.de