Blicke ins Grenzland

MAUERFILM Die Filmreihe Borderland bezieht diverse Posten um die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Im Programm sind auch sehr spezielle Dokumente

Die Filme der SFD sind ungewöhnlich offen, frei von Propaganda und Effekten

VON CAROLIN WEIDNER

Der Katalog zur im Zeughauskino veranstalteten Filmreihe „Borderland. Audiovisuelle Quellen zur Berliner Mauer“ (31. 10.–9. 11.) enthält neben so mancher Entdeckung auch einen Artikel von Florian Wüst. In ihm nähert sich Wüst der Thematik „Mauer“, indem er eine Person sprechen lässt, die von ihr eigentlich gar nicht direkt betroffen war: Tilda Swinton. Swinton sagt, während sie in Cynthia Beatts Film „Cycling the Frame“ (1988) eines schönen Sommertages mit ihrem Fahrrad diese Mauer abfährt: „It’s also so bizarre. That West Berliners seem to be so studiously ignoring the Wall. It’s like living on an island. And ignoring the sea. Sort of tabu subject. And so the enormous attention that is given to the Wall by the men in the towers in the East. Seems to be an unbalanced thing.“ „Schandmauer“, „antifaschistischer Schutzwall“, „deutsche Klagemauer“ – die Mauer gibt es nicht. Jan Henselder, der das hervorragende Programm zu „Borderland“ zusammengetragen hat, macht genau diesen Eindruck stark, indem er verschiedene Posten um die Mauer bezieht. Das Bild, das dabei entsteht, ist ein überaus diverses.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Eröffnungsabend von „Borderland“: Auf „Der goldene Oktober“ (BRD 1985) von Knut Hoffmeister, in dem unter anderem von einem Rolls Royce aus über die Länge der Mauer sinniert wird, folgt „Berlin Milieu – Ackerstraße“ (DDR 1973), produziert unter der Redaktion von Veronika Otten. Letzterer Hinweis ist wichtig, denn bei „Berlin Milieu – Ackerstraße“ handelt es sich um ein unfassbares Filmzeugnis, das unter recht speziellen Umständen entstanden ist. Verantwortlich für den Film war nämlich die „Staatliche Filmdokumentation“ (SFD), ein Produktionsbereich, der ausdrücklich fürs Archiv herstellte. Ziel war es, das ungeschminkte Antlitz der DDR einzufangen, um es, gleich einer Zeitkapsel, späteren Generationen zugänglich zu machen. Die Filme der SFD sind ungewöhnlich offen, frei von Propaganda und verzichten weitestgehend auf dramaturgische Effekte (obgleich es sehr wohl eine bestimmte Ästhetik gibt). Sie sind gewissermaßen nackt. „Berlin Milieu – Ackerstraße“ begegnet nun einigen Bewohnern der Ackerstraße, die in unmittelbarer Mauernähe leben und sich einem Schwall „aller möglichen Schimpfworte, die man sich denken kann“, ausgesetzt sehen. Ausgangspunkt: ein Besucher-Treppchen auf der Westseite.

In Kontakt mit einem solchen Treppchen kommen auch die beiden Dokumentarfilmer Marilyn Levine und Ross McEllwee in „Something to Do with the Wall“ (USA 1991), dem dritten Film des Abends. Ihnen begegnen Aktivisten und US-amerikanische Love-Jesus-Touristen, Kinder, Skeptiker und Grenzsoldaten. „Something to Do with the Wall“ spielt zu einem Gros in den 80er Jahren, das Ende des geteilten Deutschlands und somit auch das der Mauer ist noch nicht abzusehen. Und in der Tat scheinen sich nicht Wenige mit der Existenz der Mauer durchaus arrangiert zu haben. Im Programmteil „Subkulturen im Grenzbereich“ (8. 11.) wird sie dann selbst zum Kunstobjekt. So verbrachte Ronald Steckel im Sommer 83 lange Wochen damit, die Mauer abzuschreiten und jedes geschriebene Fitzelchen zu notieren, was auf dieser „größten Wandzeitung der Welt“ zu lesen war. Das von Wolfgang Neuss eingesprochene Audiostück wird im Foyer des Zeughauskino zu hören sein.

Zeitgleich im Saal: „Berlin DDR Hintergrund“ (S 1985), ein von Björn Cederberg für das schwedische Fernsehen produzierter Film, welcher der Ost-Berliner Subkultur im Prenzlauer Berg begegnet. Pikant: Die Aufnahmen übergab Cederberg Mittelsmann Sascha Anderson, von dessen Aktivitäten für die Stasi Cederberg zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen konnte. „Ich bin auch ein Berliner“ (DK 1990) von Jon Bang Carlsen porträtiert indessen einen jungen Aussteiger, der sich in einem Wohnwagen-Verschlag mit Gemüsebeet an der Mauer niedergelassen hat und nun von den steten Klopfgeräuschen der „Mauerspechte“ in den Wahnsinn getrieben wird. Sehenswert auch: „Vergangen, vergessen, vorüber“ (D 1994) von Jan Ralske und mit Bruno S., bekannt aus Werner Herzogs Film „Stroszek“ (1977). „Vergangen, vergessen, vorüber“ ist ein Spaziergang über die ideologischen Trümmerfelder Berlins nach dem Mauerfall. Klar wird: Die Mauer spricht in ihrer Abwesenheit weiter.

■ Borderland: Zeughauskino, Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 31. 10.–9. 11., www.dhm.de