in fußballland
: Minderwertigkeitsgefühl am Zaun

CHRISTOPH BIERMANN outet sich als begeisterter Zuseher von Pannenshows und hat bisweilen doch etwas gegen Schadenfreude

Es war einer der besonders schönen Tage in meinem Leben als Fußballfan, und dennoch ging ich vor drei Jahren eher genervt nach Hause. Als der VfL Bochum in der letzten Viertelstunde des letzten Spieltags noch zwei Tore gegen Hannover 96 geschossen hatte und zur gleichen Zeit in Kaiserslautern den Borussen aus Dortmund kein Treffer mehr gelungen war, es dort also bei einem Unentschieden blieb und sich die Bochumer noch auf einen Platz schoben, der in der nachfolgenden Saison Spiele im Uefa-Cup erlaubte, vollzog sich eines dieser kleinen Fußballwunder, bei denen sich der Sport noch über die Logik des Marktes erhebt. Ärgerlich machten mich aber die Feierlichkeiten, die sich an den schönen Erfolg anschlossen.

Dabei störte mich weniger die schlechte Musik, die wenig geistreichen Reden der Spieler auf der kleinen Bühne neben der Ostkurve und die angekündigte Rasur des Schnauzbarts von Trainer Peter Neururer, denn solche Feste können von mir aus ruhig derb sein.

Was mir aber im Laufe der Zeit zunehmend auf die Nerven ging, war die ewige und immergleiche Wiederholung der immer gleichen Beleidigung in Richtung Dortmund, dass der BVB die Söhne einer Prostituierten seien. Auch gegen eine ordentliche Unflätigkeit beim Fußball habe ich nichts einzuwenden, aber nach dem gut hundertsten Mal war mir klar, dass bei vielen Anhängern des VfL Bochum die Freude über den eigenen Erfolg schwächer ausgeprägt war als die Schadenfreude, dass der große Nachbar ein paar Kilometer den Ruhrschnellweg herunter gescheitert war.

Nun soll Schadenfreude laut einem Sprichwort nicht nur die schönste Freude sein, hat es als eines der wenigen deutschen Worte in Englische geschafft und feiert überdies seit Jahren angeblich deshalb Triumphe, weil Harald Schmidt und Stefan Raab der Schadenfreude in ihren Shows eine Plattform gegeben haben. Doch wenn das wirklich so sein sollte, müsste zumindest zwischen unterschiedlichen Formen der Schadenfreude unterschieden werden. In der Raab-Schadenfreude schwingt immer ein wenig jenes säuerliche Minderwertigkeitsgefühl am Maschendrahtzaun mit, das die Fans des aus ihrer Sicht wohl besonders kleinen VfL Bochum gerade im Scheitern des großen BVB spürten. Am viertletzten Spieltag dieser Saison konnte man in Bochum aber auch die andere Form erleben.

Da kam der FC Schalke 04, dessen Sympathiewerte im Laufe der letzten Jahre bundesweit zu jenen des FC Bayern abgesunken sind, seit der Klub kaum weniger Millionen als die Münchner ausgibt und sich einen Teil davon auch noch aus Russland finanzieren lässt. Im Ruhrgebiet schlägt diese Antipathie sowieso stärker durch, und in Bochum reizte Schalke das Gefühl noch. Der Klub hatte nämlich weiße T-Shirts an seine Fans verteilen lassen, auch Trainer und selbst Mitglieder des Vorstandes trugen sie. Auf ihnen stand zu lesen: „Nordkurve in deiner Stadt“.

In der Nordkurve stehen in der Schalker Arena die heimischen Fans, und diese – so legte der Slogan nahe – würden nun Bochum übernehmen. So stand an jenem Freitagabend fast die Hälfte der Zuschauer als einheitliche Sensation White auf den Rängen in Bochum. Die Gastgeber verstanden das wohl als Provokation, was sowohl Mannschaft als auch Fans zu bemerkenswerter Hingabe, bester Saisonleistung und schließlich zum Sieg antrieb. Nur wenige Tage später gab es in Bochum ein weißes T-Shirt – im Design ähnlich dem der Schalker – zu kaufen. Die Aufschrift: „Nicht in meiner Stadt! 2:1 – 27. April 2007“

Doch machen wir uns nichts vor: Dieser eher lässige Ausdruck von Schadenfreude ist die Ausnahme. Nur zwei Wochen später überschlugen sich die Fans in Bochum und Dortmund schon wieder vor Schadenfreude darüber, dass Schalke die Tabellenspitze verloren hatte und damit absehbar auch die Chance auf den Titelgewinn.

Mich nervte das, wobei ich als begeisterter Zuseher von Pannenshows, bei denen dicke Kinder in Sahnetorten fallen, die schöne Schadenfreude nicht einer politischen Korrektheit opfern möchte.

Aber: Will man sich und seinen Klub damit kleinmachen – oder nicht?

Christoph Biermann, 46, liebt Fußball und schreibt darüber