Freiheit statt Feminismus

In dem Band „Das F-Wort. Feminismus ist sexy“ melden sich nun differenzierte, kluge Frauen und Männer zu Wort. Das „F“ steht für sie zunächst für „Freiheit“ – nicht die schlechteste Idee

Brauchen wir neuen Feminismus oder wieder mehr alten oder gar keinen?In letzter Zeit häufen sich die Diagnosen, dass die Sache mit den Geschlechtern und der Macht doch noch nicht so gut geregelt ist. Vor allem seit in der Populärwissenschaft die Mode herrscht, eine altertümliche Frauenrolle als biologisch angelegt zu propagieren. Diese Angriffe auf die weibliche Freiheit konterten inzwischen verschiedene Autorinnen.

Während bekannte Feministinnen wie Alice Schwarzer meinen: „Wir brauchen keinen neuen Feminismus“, sind jüngere Autorinnen durchaus der Ansicht, dass neue Formen gefunden werden müssen. „Feminismus hat einen schlechteren Ruf als die Deutsche Bundesbahn“, so die Autorin Thea Dorn, die leistungsstarke Individualistinnen zur neuen „F-Klasse“ erhob. Und sogar die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin verfasste mit „Schwestern“ eine „Streitschrift für einen neuen Feminismus“. Gemeinsam ist ihnen eine starke Konzentration auf das Individuum und sein Fortkommen. Eher als politische Forderungen aufzustellen, scheinen sie in einem bisher Feminismus-fernen Milieu überhaupt erst einmal wieder Bewusstseinsbildung zu betreiben. OES

VON HEIDE OESTREICH

Die Frau von heute geht mit aktuellen Rollenbildern eigentlich um wie mit Mode. Sie variiert Outfit und Persönlichkeit je nach aktueller Nachfrage, denn ohne Personen-Marketing läuft gar nichts. Sie präsentiert sich als selbstbewusste bis selbstironische Ich-AG. Als eine Art Reaktion auf diese Überforderung könnte man das zeitgleich anschwellende Sinnieren über ihre „Natur“, ihre Hormonlage, ihre Gene, ihre angeborenen weiblichen Fähigkeiten deuten. Zwischen der „Ich kann alles“-Frau und der Entlastungsreaktion, der extremen Beschränkung ihrer Rolle durch die angebliche Natur wäre eigentlich das Spielfeld einer gesellschaftspolitischen Analyse anzusiedeln, die reale Spielräume von Frauen in ihren Rollenmodellen auslotet und zur Diskussion stellt.

Doch der öffentliche Raum, in dem die Analyse stattfinden könnte, ist merkwürdig leer. Die einen sind zu cool, um zuzugeben, dass sie Probleme haben könnten – und zu individualistisch, als dass sie sich politisch artikulieren würden. Und die anderen tragen lediglich ihr verstaubtes Frauen- und Mutterbild in einer Monstranz herum, garniert mit angeblichen genetischen Gegebenheiten.

Beiden gemeinsam ist, dass sie sich von feministischen Stimmen, die die Rollenbilder traditionell kritisiert haben, distanzieren. Der überlieferte Feminismus wird in diesem Raum nicht aktualisiert, er steht irgendwie daneben herum. Es gibt mittlerweile den einen oder anderen Ruf nach „neuem Feminismus“, doch so recht konturiert ist das Gewünschte bisher nicht. Ein Sammelband aus dem Ulrike Helmer Verlag vereint nun Versuche, die Lücke zwischen „altem“ Feminismus und dem, was heute nötig ist, zu schließen. Unter dem eher verschreckenden Titel „Das F-Wort. Feminismus ist sexy“ hat die Frankfurter Autorin Mirja Stöcker Essays versammelt, die erstaunlich frisch und unverstellt in diesen Raum hinein argumentieren. Stöcker und ihre AutorInnen (ja, auch Männer) sehen eine Klammer, die „neuen“ und „alten“ Feminismus verzahnen könnte: So unterschiedliche Themen wie die Hirnforschung, die Befindlichkeit junger Männer oder das weibliche Schönheitsideal, das mittlerweile bei Kleidergröße zero angekommen ist, finden ihren kritischen Fluchtpunkt in dem Begriff der individuellen Freiheit, Ausgangspunkt eines jeden Feminismus – und auch aller Männer, die sich in Rollenzwängen unwohl fühlen, wie die beiden männlichen Autoren in ihren Beiträgen zu bedenken geben.

Dem Diktum von der angeblichen „Spaßbremse Feminismus“ stellt Herausgeberin Mirja Stöcker die schlichte Frage entgegen, ob nicht mangelnde Kinderbetreuung oder der grassierende Diätwahn dann doch die größeren Spaßverderber seien. Der Feminismus werde quasi als „Botin der schlechten Nachricht“ verantwortlich gemacht, meint Autorin Jenny Warnecke.

Die Stärke der Beiträge aber liegt darin, dass alle sich bemühen, den Freiheitsbegriff des alten Feminismus aus seinen identitätspolitischen Fängen zu befreien, ohne ihn deshalb aufzugeben. Sie versuchen, ihn unter neoliberalen Bedingungen neu zu füllen. Was macht man, nachdem alle Klagen gegen patriarchale und kapitalistische Strukturen gesungen sind? Wenn das Individuum in einem bloßen „Außerhalb“ oder „Dagegen“ keine Perspektive mehr findet? Dann könnte es darum gehen, die Strukturen an strategisch wichtigen Stellen nur so weit zu verflüssigen und zu reorganisieren, dass genug Spielraum für die Einzelnen entsteht. „Der Netzwerkgeneration läuft die Identitätspolitik gegen den Strich“, heißt es bei Warnecke, aber „feministisches Know-how ist durchaus Netzwerk-kompatibel“. Dabei werden auch Anpassungsprozesse an veränderte ökonomische Strukturen vollzogen: wenn etwa festgestellt wird, dass man sich auf die Ernährerfunktion des Mannes nicht mehr verlassen kann. Aber es geht eben auch um Handlungsmöglichkeiten, die sich heute vielleicht eher um einzelne Probleme entwickeln als um ein leidendes Kollektivsubjekt. Statt Einheitsfront ist Bündnispolitik angesagt.

Dafür bedarf es immer noch der feministischen Information und Selbstverständigung, die von ihrem Stigma befreit werden müssen, das vermitteln alle AutorInnen. Und so geben sie durchaus Gegenfeuer. Etwa gegen die grassierende Biologisierung der Geschlechterdifferenz. Urhistorikerin Brigitte Röder verweist auf Untersuchungen der prähistorischen Archäologie, nach denen die Großwildjagd, angeblich Dauerbeschäftigung des prähistorischen Mannes, wohl eher die Ausnahme bei der Nahrungsbeschaffung darstellte. Dagegen zeigten Zahnabnutzungen, dass beide Geschlechter einträchtig am Feuer saßen und Leder weichkauten – und keineswegs nur die Frauen. Eva Maria Schnurr weist darauf hin, dass die Rede von der „Natur“ der Geschlechter erst nach der französischen Revolution begann. Zuvor galten Frauen quasi als schwächere Männer, die aber zur Not durchaus einen Mann ersetzen konnten. Sie betont auch, dass die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern kleiner seien als ihre Gemeinsamkeiten. Hormone, Synapsen und auch genetische Strukturen können sich schließlich, wenn die Umwelt es erfordert, durchaus verändern. Und sie berichtet von einem interessanten Experiment: Mädchen, die gut in Mathe sind, rechnen schlechter, nachdem sie eine Weile mit klischeehaltigen Werbefilmen für Backmischungen und Pickelcremes berieselt wurden. Sogar ihre Berufswünsche ändern sich danach: Sie wollen doch lieber Journalistik oder Linguistik studieren. Mit Klischeeglauben kann man sich also ziemlich gut selbst im Wege stehen.

Feminismus bleibt in dieser Sammlung klar im Modus der Kritik. Es gilt, Entfremdungen und Diskriminierungen aufzuspüren, die eben auch heute noch da sind. So zeigt Katrin Jäger die extremen Zerrbilder, die nach wie vor über Lesben im Umlauf sind. Die Kritik aber wird heute eben auch von Männern angewandt: Es ist der Spiegel-Online Redakteur Daniel Haas, der in seinem Essay zu TV-Casting-Shows darauf verweist, dass deren Spiel mit repressiven und pornografischen Strukturen mit dem üblichen „Wenn’s ihnen selbst Spaß macht“ nicht abgehakt werden kann. Die Journalistin Elke Buhr erinnert daran, dass die Suizidrate von Frauen mit Brustoperationen 73 Prozent über der „naturbelassener“ Frauen liegen soll. Die Schönheitsindustrie bringe offenkundig nicht die Freiheit, die sie verspreche. Wer zu cool ist, dies zu kritisieren, entlarvt sich letztendlich selbst: „Eigentlich souverän wird ein zeitgemäßer Feminismus erst dann, wenn er sich traut, kritisch zu sein, ohne dabei Angst zu haben, als Spaßbremse zu gelten.“

Hier ist ein Feminismus zu sehen, der wohl eher keine Frauen zu Demos auf die Straße treiben wird. Er beruht auf informierten Individuen. Und auch die können, ganz ohne Frauen- oder Männergruppe, zu einer kritischen Masse im Diskurs anwachsen. Was natürlich noch zu beweisen wäre.

Mirja Stöcker: „Das F-Wort. Feminismus ist sexy“. Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2007, 150 Seiten, 12,90 €