„Die Neocons sind keineswegs am Ende“

Seit dem Irak-Debakel verlieren die Neokonservativen an Einfluss, heißt es. Das simmt so nicht, meint der konservative US-Publizist Max Boot. Auch Hillary Clinton würde als US-Präsidentin auf Demokratisierung und Militär setzen

MAX BOOT arbeitet als Autor, Publizist und Militärhistoriker. Er gilt als einer der prominenten und provokativen Vertreter einer neokonservativen US-Außenpolitik. Er schreibt unter anderem für The Weekly Standard und die Los Angeles Times. Letzte Buchveröffentlichung: „War Made New“, eine Analyse der Militärtechnik von 1500 bis heute. Außerdem war er Mitarbeiter der neokonservativen PR-Firma Benador Associates.

taz: Herr Boot, Sie bezeichnen sich selbst nicht als Neokonservativen – stimmen aber mit großen Teilen des neokonservativen außenpolitischen Programms überein. Wie sieht die Bilanz der Neocons aus?

Max Boot: Ich denke, „Neokonservativismus“ ist der Grundgedanke, Demokratie zu exportieren, amerikanische Ideale im Ausland zu befördern – manchmal mit Gewalt, manchmal ohne. Das ist eine liberale und eine konservative Idee …

die im Irak an Überzeugungskraft verloren hat …

Die Invasion in Irak ist nicht besonders gut gelungen, aber nicht weil die „Neocon-Agenda“ falsch gewesen wäre, sondern weil taktische Fehler gemacht wurden. In Afghanistan waren wir erfolgreicher beim Aufbau einer Demokratie und einer repräsentativen Regierung, obwohl es nach wie vor umkämpft ist.

Im Jahr 2005 haben Sie geschrieben, „die Neocons könnten zuletzt lachen“ und die Wahlen im Irak hielten Sie für einen großen Fortschritt. Glauben Sie noch immer an die Demokratie im Irak?

Die Chance gibt es gewiss, aber sie ist heute kleiner als vor ein paar Jahren. Im letzten Jahr ist „Demokratie“ immer mehr mit Bombenanschlägen, Selbstmordattentaten und Blutvergießen assoziiert, und das ist nicht sehr attraktiv für die Menschen in der Region. Aber sie sind trotzdem nicht glücklich über die Diktaturen, in denen sie leben. Wir im Westen müssen weiterhin jene unterstützen, die Demokratie fordern.

Aber sind die USA nach Abu Ghraib und Guantánamo nicht zu diskreditiert, um noch für Demokratie einzutreten?

Ohne Frage hat Amerikas Image im Nahen und Mittleren Osten sehr gelitten. Aber wir können und sollten weiterhin Demokratie fördern. Die alte Art, Diktatoren in der Region zu unterstützen und Geschäfte zu machen, hat nicht gut funktioniert sondern Stagnation und Unterstützung für Terror und islamischen Extremismus hervorgebracht. Wir können die Hände nicht in den Schoß legen.

Sie sind Militärhistoriker. Wie viel der Macht der USA beruht auf dem Militär?

Die militärische Übermacht der USA garantiert freien Handel und Fortschritt auf der ganzen Welt. Natürlich will ich nicht die Verdienste unserer kulturellen und wirtschaftlichen Stärke schmälern – aber wir hätten diese florierende Wirtschaft, die so sehr von Welthandel und globalen Kapitalströmen abhängt, ohne den Schutz der US-Streitkräfte überhaupt nicht. Wie es Thomas Friedman einmal sagte: „Keine F-16 – kein McDonald’s“.

Sie bestätigen gerade, dass die USA ihre Kriege aus wirtschaftlichem Interesse heraus kämpfen.

Nein, überhaupt nicht. Ich sage nur, dass militärische und wirtschaftliche Stärke nicht zu trennen sind. Das heißt nicht, dass wir unsere Kriege führen, um uns wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. In Haiti, Bosnien, im Kosovo oder in Afghanistan werden Sie kaum einen wirtschaftlichen Grund finden. Selbst nicht im Irak: Viele haben gesagt, wir gingen wegen des Öls dorthin. Das ist absurd. Saddam hätte uns liebend gerne all sein Öl verkauft. Aber es war wegen der von den USA angeführten Sanktionen nicht auf dem Markt, weil wir nicht wollten, dass er die Ölgewinne nutzt, um Massenvernichtungswaffen herzustellen. Wenn wir nur das Öl gewollt hätten, hätten wir mit ihm Geschäfte machen können wie in den 80er Jahren.

Sie haben kürzlich geschrieben, dass die USA jedes Recht hätten, den Iran zu bombardieren, dass Bush dies aber nicht tun wird. Lese ich zwischen den Zeilen das Wort „leider“?

Nein. Ich bin allerdings erstaunt über die Idee, dass die größte Gefahr für den Weltfrieden von den USA ausginge und nicht vom Iran. Seit der iranischen Revolution 1979 war Iran eine der destabilisierendsten Kräfte im Mittleren Osten und auf der ganzen Welt. Und sie entwickeln Atomwaffen.

Iran betreibt ein nach dem Atomwaffensperrvertrag erlaubtes Urananreicherungsprogramm. Warum kann es keine Verhandlungen geben, die Iran dieses Recht zugestehen, kontrolliert durch die Internationale Atomenergiebehörde?

Ich glaube nicht, dass das geht. Eine Verhandlungslösung mit Iran wäre wie das Nordkorea-Abkommen von 1994, das sehr schnell verletzt wurde. Wenn ich aber Präsident Bush richtig verstehe, hat er nicht vor, Iran bald anzugreifen – er versucht, den Druck zu erhöhen, um Iran von seinem Atomwaffenprogramm abzubringen. Die Europäer sollten viel stärker mit den USA zusammenarbeiten, um effektivere Sanktionen zu verabschieden.

Falls der Sicherheitsrat sich wegen Russland und China nicht auf harte Sanktionen einigt, werden wir dann aus Washington wieder hören, dass der Sicherheitsrat unwichtig sei und man jetzt andere Wege suche?

Der Sicherheitsrat ist ja nicht die einzige Instanz, wo Staaten über Sanktionen gegen Iran befinden können – die USA haben jetzt schon Sanktionen gegen iranische Finanztransaktionen, dabei können die Europäer mitmachen. Wenn alles nichts bringt, müssen wir sehen, was der nächste Schritt ist. Im Übrigen sollte es unser wichtigstes Ziel sein, die Iraner in ihrem Wunsch nach einer verantwortungsvolleren Regierung zu unterstützen.

Wenn die iranische Regierung „regime change“ hört, wenn der Westen „Atomprogramm“ sagt, ist eine Verhandlungslösung völlig ausgeschlossen. Ist das clever?

Ich spreche nicht von Regimewechsel durch Militärintervention, sondern von friedlicher Unterstützung der Opposition, so wie wir es einst in Polen mit Solidarnosc gemacht haben oder später mit der orange Revolution in der Ukraine. Eine demokratische Regierung im Iran ist langfristig auch die beste Lösung – auch weil Iran der weltweit größte Terrorismusunterstützer ist.

Die US-Öffentlichkeit und die Demokraten drängen auf Abzug aus dem Irak; Bush will mehr Truppen. Wie lange werden die USA im Irak sein?

Schwer zu sagen. Trotz wachsenden Drucks bleibt Präsident Bush noch etwa ein Jahr, um etwas zu erreichen. Denn obwohl die Demokraten und die US-Öffentlichkeit zu Recht unglücklich über den Verlauf des Krieges sind, gibt es keine Forderung nach sofortigem Abzug. Die meisten verstehen, dass die Konsequenzen schrecklich sein könnten.

Die USA haben den Irak mit fadenscheinigen Begründungen angegriffen. Wird die Bereitschaft der USA, Militär einzusetzen, künftig sinken?

Das kann sein. Wir haben einige Jahres eines „Irak-Syndroms“ vor uns, analog zum Vietnam-Syndrom der 70er-Jahre, was uns vorsichtiger beim Einsatz militärischer Gewalt macht. Das ist nicht gut: Wenn die USA ihr Militär zögerlicher einsetzen, wird es mehr Leid geben, Beispiel Darfur.

Offensichtlich haben die Neocons in den USA weiterhin großen Einfluss auf die Politik. Und was, falls 2008 ein Demokrat Präsident wird?

Das macht keinen großen Unterschied. Die so genannten Neocons sind ja vor allem Wissenschaftler und Publizisten und werden weitermachen, und sie werden weiter Einfluss haben. Die Ideale der Neocons sind amerikanische Ideale, die auch von vielen Demokraten geteilt werden. Hillary Clinton hat in der Vergangenheit alle Interventionen unterstützt, für die auch die Neocons eingetreten sind.

INTERVIEW: BERND PICKERT