Ausbeinen zum Minilohn

Polnische Beschäftigte in der deutschen Fleischwirtschaft rebellieren gegen Bezahlung und Arbeitsbedingungen. SPD-Politiker fordert Mindestlohn

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND ANNA LEHMANN

Fatale Bedingungen, schlechte Bezahlung. Ewa Szymaszko aus dem masurischen Städtchen Elk gerät schnell in Rage, wenn sie an ihre Arbeitsstelle in Deutschland zurückdenkt. Zwei Monate arbeitete sie auf dem Schlachthof der Firma B & C. Tönnies in Rheda-Wiedenbruck in Nordrhein-Westfalen. Angeheuert hatte sie bei der polnischen Vermittlungsfirma Marko-bis.

Im Rahmen der Entsenderichtlinie werden osteuropäische Arbeitskräfte bei Firmen in deren Heimatland angestellt und auch über diese Unternehmen sozialversichert und bezahlt. Diese Kräfte werden dann in deutsche Fabriken entsandt, das Geld aber bekommen sie von der Firma im Heimatland.

„Sie versprachen uns das Blaue vom Himmel“, erzählt Szymaszko der taz. In der Hoffnung auf monatlich 1.000 Euro arbeiteten Ewa Szymaszko und ihre polnischen Kolleginnen jeden Tag von 3.00 Uhr nachts bis 15.00 Uhr. „Für neun Tage harte Arbeit habe ich 100 Euro bekommen“, rechnet Szymaszko aus. Über die Höhe des Stundenlohnes gab es keinen Vertrag. Laut Szymaszko traten die polnischen Arbeiter im Dezember in den Streik, um gegen miserable Arbeitsbedingungen zu protestieren. Szymaszko hat einen Anwalt beauftragt, eine Klage gegen das polnische Unternehmen und den deutschen Fleischfabrikanten zu prüfen.

Szymaszko gehört zur Masse der 15.000 ausländischen Beschäftigten, die in der hiesigen Fleischwirtschaft Schweine zerteilen, Rinderfilets zurechtschneiden und Hühnerschenkel verpacken. Dass sich polnische Arbeitskräfte jetzt beschweren und sogar in der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza die Arbeitsbedingungen in Deutschland gerügt werden, ist relativ neu. Bislang prangerte vor allem die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die Fleischwirtschaft an, weil dort angeblich viele osteuropäische Arbeitskräfte illegal beschäftigt sind und die Löhne drücken.

Bei einer Überprüfung von Fleischverarbeitungsbetrieben wurden in jedem vierten Unternehmen Unregelmäßigkeiten wie Scheinselbständigkeit, illegale Arbeitnehmerüberlassung oder Lohnrückstände festgestellt, verlautete gestern aus dem Bundesfinanzministerium. Um gegen Lohndumping vorzugehen, bräuchte die Branche flächendeckende Tarifabschlüsse oder einen gesetzlichen Mindestlohn, forderte der parlamentarische Arbeitsstaatssekretär Gerd Andres (SPD).

Die von Szymaszko beklagten Arbeitsbedingungen gebe es bei B & C. Tönnies nicht, meinte gestern Josef Tillmann, Geschäftsführer des Fleischfabrikanten in Rheda-Wiedenbrück, auf Anfrage der taz. Von einer Klage einer polnischen Mitarbeiterin gegen das Unternehmen sei ihm nichts bekannt. Über die Bedingungen der polnischen Unternehmen, bei denen die entsandten Werkvertragsarbeitnehmer angestellt sind, könne er allerdings nichts sagen, meinte Tillmann. „Das ist deren Sache.“

Der Fleischereibetrieb zahle für Angelernte mindestens 7,50 Euro brutto die Stunde, davon kämen zumindest vier bis 4,50 Euro netto bei den ArbeitnehmerInnen an, schätzte Tillmann. In Rheda-Wiedenbrück seien von 3.000 Mitarbeitern die Hälfte ausländische Werkvertragsarbeitnehmer.