Anatomie einer Partynacht

ST. PAULI Eine Schlagfertigkeit, die es für die blauen Morgenstunden rund um die Reeperbahn braucht: Tino Hanekamps Debütroman „So was von da“

VON JULIAN WEBER

Das Buchcover von Tino Hanekamps Romandebüt „So was von da“ ziert ein schlichtes schwarzes Rechteck auf weißem Grund. Als ich es zum ersten Mal sah, kam mir zunächst eine Reportage über die Umstände einer Moskauer Ausstellung des sowjetischen Künstlers Kasimir Malewitsch in den Sinn. Dessen Gemälde „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ hing da ungesichert in einem kargen Raum, nur bewacht von einer Frau, die eine Butterstulle aß.

Die Story von „So was von da“ hat etwas von dieser absurden Szene. Sie schildert, was passiert, wenn Avantgardeleidenschaften Bekanntschaft mit Betriebswirtschaft und Unterwelt machen. Oskar Wrobel, der Protagonist des Romans, betreibt einen Musikclub in Hamburg-St. Pauli. „So was von da“ berichtet über die letzten Stunden seines Clubs in einer Silvesternacht. St.-Pauli-Mythen tauchen auf, im fiesesten Stümmeldeutsch. Hanekamp eifert damit nicht Jörg Fauser, diesem Urahn des deutschen Popromans, nach, er macht den Schmackes des Nachtlebens greifbar und trifft die Schlagfertigkeit, die es in den blauen Stunden braucht. Der Club ist Bühne für interessante Musik, aber auch für haarsträubende Action, ein Ort, an dem elementare Gefühle heraufbeschworen werden. Die unangenehm pathetische Punk-Formel „Wir waren Helden für einen Tag“ wird so um Brauchbares aus der Gegenwart erweitert.

Malewitschs radikal angewendete Geometrie ist bei Tino Hanekamp eine schmucklose Sprache. „Ihr habt’s gut, ihr könnt einfach so verschwinden“, schreibt er Aspirintabletten hinterher, die sich in einem Glas Wasser auflösen. Solche und andere Alltagsdinge zerren mit ihren Fliehkräften am Plot. Sie bringen Oskar Wrobel immer wieder ins Grübeln, über Außenstände bei der Krankenversicherung zum Beispiel. „Ich fürchte, ich bin wach“, beginnt der Roman. Bis zum Ende hält sich dieser Ton, und er nervt nicht, er hat Drive, er ist unaufdringlich. An einer Stelle sind 15 leere Seiten gelassen, und die Leser wissen sofort, warum.

Tino Hanekamp führte in den Nullerjahren die „Weltbühne“, einen Musikclub am Ende der Reeperbahn, der viele gute Konzerte ausrichtete, mit feierbereitem Stammpublikum und oftmals ansteckender Atmosphäre. „So was von da“ ist keine autobiografische Schönfärberei jener Jahre. Hanekamp gelingt vielmehr die Beschreibung der Klassengegensätze in Hamburg, das Aufeinandertreffen von Menschen aus den reichen Elbvororten mit Hartz-IV-Elend, von ehrgeizigen Lokalpolitikern und Antifa-Aktivisten, Migranten und Alteingesessenen. Zudem stellt er die Anatomie einer Partynacht dar. Was es zu ihrer Gestaltung an Vorarbeit braucht, welche sozialen Etikette gelten und wie man die organisatorischen Hürden, die dem Vergnügen im Weg stehen, überwindet, bilden die Grundlagen für eine funktionierende Story.

Als Starthilfe seines Clubs hat Wrobel von der Unterweltgröße Kiezkalle Kredit bekommen. Jetzt, wo der Club schließen soll, bedroht der Lude Wrobel mit einer Schlägerbande. Auch eine kommerziell erfolgreiche Band bereitet Wrobel Sorgen, die in der Silvesternacht ihr letztes Konzert gibt. Ihr Bandleader, „Rocky“, Sohn der Innensenatorin und eines abgehalfterten Hippiemusikers, weiß auf der Bühne nicht zu überzeugen, hinter der Bühne beschützt er Oskar Wrobel.

Zwischen Ordnungsamt und Drogenexzess, Hausmeisterei und Hedonismus tun sich in den schmutzigen Winkeln des Zwiespalts Erkenntnisse auf. Wrobel gleicht sie mit den „Selbstbetrachtungen“ des römischen Kaisers Mark Aurel ab. „Erstens: Verlier nicht die Ruhe.“ Wrobel ist sich des eigenen Verderbens bewusst, bewahrt aber einen Rest an kritischer Reflexion. Er ist das Symbol eines in subkulturellen Zusammenhängen aktiven Unruhestifters. Nicht nur für Wrobel, für das gesamte Personal entwickelt Hanekamp große Fürsorge. Er erzählt sogar eine unpeinliche Liebesgeschichte, mit einer Jugendfreundin von Oskar Wrobel, die in der letzten Clubnacht aus dem heterosexuellen Underground auftaucht.

Tino Hanekamp stammt aus der sächsischen Provinz. In einer Stadt wie Hamburg, in der auf Herkunft und Tradition viel Wert gelegt wird und in der auch die Gegenkultur ausschließlich über Beziehungskartelle funktioniert, wirkt der St.-Pauli-Roman eines 32-jährigen Ostdeutschen wie eine Befreiung.

Noch etwas gefällt an „So was von da“. Sein Autor hat zwar Erfahrungen als Journalist gesammelt, trotzdem liefert er nicht einfach eine Stilübung in „Popliteratur“. Der Autor nutzt Popkultur eher als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Der Mix aus krimineller Energie und Aktionismus ist abwechslungsreich. Hanekamp verzichtet seinem Sujet gegenüber auf falsche Ehrfurcht. Auf der Buchrückseite ist eine matt glitzernde Discokugel abgebildet. Radikal angewendete Geometrie, auch das.

Tino Hanekamp: „So was von da“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 302 Seiten, 14,95 Euro