Bäckerin und Bauer, eher blass

Die Künstlergruppe Cheap inszeniert „Max und Moritz“ als quietschbunte Revue

Sie sehen so brav aus: hellblaue Pullunder, rote Schleifchen um den Hals, dazu weiße Kniestümpfe. Doch man sollte sich vor den Freunden, die da unschuldig in Schuluniform daherkommen, in Acht nehmen. Denn ihre Vorbilder sind keine Geringeren als die berühmtesten Bösewichter der deutschen Kinderliteratur: Max und Moritz.

Deren Streiche hat die deutsch-amerikanische Künstlergruppe Cheap anlässlich des 175. Geburtstags ihres Schöpfers Wilhelm Busch im Theater an der Parkaue neu inszeniert. Es ist eine wilde Revue mit Tarantino-tauglichem Soundtrack geworden, in deren Mittelpunkt eine Bande mit dem prägnanten Namen M&Ms steht. Vorgestellt werden deren Mitglieder (vier Mädchen, ein Junge) wie in einer Realitysoap: Aufzeichnungen einer Überwachungskamera flimmern über die Bühne, zu sehen sind Schultoiletten. Nacheinander marschieren die professionellen Unruhestifter in den Raum, verstopfen das Klo, schreiben Spickzettel, beschmieren die Kameralinse mit Lippenstift.

Jetzt kann es losgehen mit dem ersten Streich, das Federvieh von Witwe Bolte ist fällig. Gespielt wird sie von dem afroamerikanischen Dragkünstler Vaginal Davis: „Ich wollte Witwe Bolte als eine fröhliche sexy Witwe spielen, in die alle Männer der Stadt wahnsinnig verliebt sind.“ Und nicht nur die können der resoluten Witwe in Lackpumps nicht widerstehen, auch ihre Hühner liegen ihr zu Füßen. Der erste Streich ist der schillerndste, das liegt auch an den von Moritz Müller prächtig mit Petticoat und Pailletten ausgestatteten Hühnern. Bevor diese zu Grunde gehen, verfallen sie in einen herrlich grotesken Tanz, bei dem Hähnchenschenkel zu Surfgitarren synchron in die Luft geschmissen werden.

Bis auf die Bäckerin und den Bauern, die auch bei Busch blass bleiben, sind die Figuren alle überdreht. So erinnern die Frisuren der M&Ms, beispielsweise Maruschkas lassoähnlicher Zopf, in ihrer Überzeichnung an Cartoons und somit auch die Bilderbogen Buschs, der oft als einer der Urväter des Comics bezeichnet wird. Cheap findet die richtige Balance zwischen Originalversen und heutiger Alltagssprache. Als etwa in Streich Nummer drei Schneider Böck in den Bach fallen soll, rufen die M&Ms: „Wie crasht man Stege? Mittels einer guten Säge!“ Gesagt, getan.

Erfolgreich reanimiert wird der halb ertrunkene Schneider von der Witwe Bolte. Die kleine Romanze, die sich zwischen den beiden anbahnt, wird von dem Müller kritisch beäugt: Immerhin ist Witwe Bolte doch groß und schwarz, der Schneider aber klein und weiß! Das passt doch nicht! Doch die Bäckerin macht ihm in einer kleinen Ansprache, die nicht pädagogisch-gewollt daherkommt, den Wert von Verschiedenheit deutlich.

So nimmt sich Cheap scheinbar nebenbei gesellschaftlich relevanten Themen an; ein Aspekt, der für die Arbeit der multikulturellen KünstlerInnen wichtig ist. Von der Bande gibt es aber auch ganz Handfestes abzugucken. So folgt dem zweiten Streich „ein kleiner für den Hausgebrauch“. In ausgefeilter Teleshoppingmanier wird vorgeführt, wie man zu Hause mit Hilfe eines Küchenschranks und einem Haufen Eier für eine riesige Sauerei sorgen kann. Auch wird erklärt, wie man richtig lügt und dass man stets einen Plan B bereithaben soll. Max und Moritz könnten von ihren Nachfahren noch was lernen.

So landen die M&Ms nicht im Magen von Gänsen, im Gegenteil: Lehrer Lämpel, Witwe Bolte und Co haben allen Grund zur Sorge. Statt der erhobenen Zeigefinger gibt es auf der Bühne zum Schluss nur fünf entschlossen in die Luft gestreckte Hintern. Eine klare Ansage. LENA HACH

Nächste Termine: 22. 4. 16 Uhr, 23.–25. 4. jeweils 10 Uhr, 29. 4. 16 Uhr; Parkaue 29, 10367 Berlin