Die Kinder von Elandsdoorn

AIDS In „Geliebtes Leben“ erzählt Oliver Schmitz davon, wie ein zwölfjähriges Mädchen in einer südafrikanischen Township für seine Familie gegen Armut und Aids kämpft

Schmitz inszenierte atmosphärisch und die Township wirkt in europäischen Augen in ihrer staubigen Armseligkeit authentisch.

VON WILFRIED HIPPEN

Die Krankheit ist mit einem solchen Fluch beladen, dass niemand sich traut, laut ihren Namen zu nennen. Erst weit im letzten Drittel des Film nimmt jemand das Wort „Aids“ in den Mund, und es ist bezeichnend, welche Person es schließlich in welcher Situation ausspricht und wie sie in den Augen der anderen alleine dadurch selber zum gefährlichen Keimträger wird. Bei solchen Details merkt man, dass Oliver Schmitz weiß, wovon er erzählt.

Genau genommen ist dies zwar eine Literaturadaption und der deutsche Titel der Romanvorlage von Allan Stratton „Worüber keiner spricht“ bringt das Thema des Films auch viel besser auf den Punkt als der holprige Versuch einer wörtlicheren Übersetzung von „Life, above all“.

Doch der in Südafrika aufgewachsene und nun in Berlin lebende Schmitz inszeniert atmosphärisch und die ländliche Township Elandsdoorn wirkt in seinem Film zumindest für europäische Augen in ihrer staubigen Armseligkeit sehr authentisch.

Die Erzählform folgt dagegen eher den Konventionen eines Abenteuerfilms für Jugendliche. Mit der zwölfjährigen Chandas gibt es eine junge Heldin, die mutig und intelligent für ihre Familie und ihre Freunde kämpft. Zum Beginn des Films stirbt ihre einjährige Schwester.

Die Mutter ist selber krank und hilflos in ihrer Verzweiflung, der Stiefvater ist in die Kneipe gegangen, um das Geld für die Beerdigung zu versaufen.

Chanda kümmert sich beherzt und einfallsreich um alles, und so wird schon nach den ersten Minuten klar, dass sie der ungebrochene positive Gegenpol in dieser Geschichte von Elend und Krankheit sein wird. Ihr fällt immer etwas ein, sie kann sogar der mächtigen Nachbarin Mrs Tafa Paroli bieten, die mit Wunderheilern und Hexenbeschwörerinnen jene Krankheit der Mutter bekämpfen will, die nicht bei ihrem wahren Namen genannt werden darf.

Durch diese starke und sympathische Heldin wird der Film nicht nur für ein jugendliches Zielpublikum erst erträglich, denn ansonsten zeichnet er ein durch und durch pessimistisches Bild vom Leben der schwarzen und armen Südafrikaner in den Townships.

Die Kranken werden wie Aussätzige behandelt und einer der dramatischen Höhepunkte des Films besteht darin, dass Chandas ihre Mutter in der menschenleeren Steppe sucht, wo sie von den anderen zum Sterben ausgesetzt wurde. Einem erwachsenen Publikum mag es hin und wieder ein wenig zu heroisch zugehen, wenn Chanda etwa mit ein paar Worten einen von der Pharma- Industrie bezahlten Arzt entlarvt oder als einzige zu einer Freundin steht, die durch die Not zur Prostitution getrieben wird und dieser dann auch prompt das Leben rettet. Aber der Trost, den zumindest die Erzählung bietet, ist auch unbedingt nötig, denn ansonsten beschönigt der Film nichts. Er zeigt die katastrophalen Verhältnisse, unter denen die Armen in Südafrika heute leben müssen, vor allem zeigt er aber, wie die ständige Angst vor der Aids-Epidemie die Menschen verändert. Außenseiter und Kranke werden sofort zu Sündenböcken und eines der schrecklichen Leitmotive des Films sind Steinwürfe auf die Wehrlosen.

Schmitz arbeitete an den Originalschauplätzen und mit vielen Laiendarstellern. Da bliebt es nicht aus, dass bei den Gruppen- und Massenszenen ein paar Statisten sehr offensichtlich zu dem Regieassistenten neben der Kamera schielen und einige Nebendarsteller statt überzeugend zu spielen eher ihren Text aufsagen.

Doch die wichtigen Rollen werden durchweg überzeugend verkörpert und Khomotso Manyaka gelingt in der Rolle der Chanda das Kunststück, zugleich verletzlich und stark, störrisch und sympathisch, früh erwachsen und unschuldig zu wirken.

Man muss allerdings genau hinsehen, um diese Qualitäten des Films überhaupt wahrzunehmen, denn der Kameramann Bernhard Jasper arbeitete so übertrieben mit Unschärfen, dass man bei vielen Einstellungen tatsächlich suchen muss, um das eine scharf aufgenommene Detail überhaupt zu finden. Diese Stilisierung passt überhaupt nicht zum Inhalt und Erzählstil des Films. Nicht nur für jugendliche Zuschauer wirkt diese prätentiöse Bildsprache des Films zunehmend irritierend.

Auch die Synchronisation hätte ruhig etwas sorgfältiger sein können. Chanda hat eine kindliche Piepsstimme, ihrem komplexen Charakter nicht gerecht wird und eine schwarze Südafrikanerin wird wohl kaum gesagt haben, früher wäre sie „noch so blauäugig gewesen“.