Ode an den Tahrirplatz

ARABELLION Jetzt werden die Revolten zu Pop gemacht. Das könnte auch die arabische Musikwelt verändern

VON DANIEL BAX

Eine Revolution ist kein Event wie eine Fußball-Weltmeisterschaft, zu dem es automatisch einen Soundtrack geben muss. Doch seit den Studentenrevolten von 1968 ist die Vorstellung verbreitet, dass politische Umbrüche auch ihre musikalische Entsprechung haben müssten. Dass es 1968 trotz ikonischer Songs wie „Revolution“ von den Beatles, „Street Fighting Man“ von den Stones und „The Times They Are a-Changin’ “ von Bob Dylan nicht zum politischen Umsturz kam, wird dabei leicht vergessen. Denn musikalische Revolutionen mögen zwar Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels sein, sie bringen aber nur selten – auch wenn das gern behauptet wird – gleich die politischen Verhältnisse „zum Tanzen“.

Natürlich hatten auch die arabischen Revolten ihre Protesthymnen: etwa „Rayes Lebled“, eine wütende Attacke des tunesischen Rappers El Général gegen Tunesiens Präsidenten Ben Ali, die in den Tagen vor dessen Sturz im Internet zirkulierte und dem Rapper kurzzeitig die Haft einbrachte. Oder die spontane Komposition des ägyptischen Rocksängers Ramy Essam, der auf dem Tahrirplatz die Slogans der Demonstranten zum Appell „Geh!“ ausbaute; die Aufnahme davon wurde auf Youtube tausendfach verbreitet. Einen Monat nach Mubaraks Rücktritt, als das Militär die verbliebenen Demonstranten vom Tahrirplatz fegte, wurde der 27-jährige Musiker dafür von ägyptischen Soldaten zusammengeschlagen.

Früh solidarisierten sich auch die Rockmusiker Amir Eid, Hany Adel und Sherif Mostafa aus Kairo medienwirksam mit den Demonstranten auf dem Tahrirplatz. Ihre melodiöse Rockballade „Sout al-Hurriya“ („Die Stimme der Freiheit“) ist das „Winds of Change“ der ägyptischen Revolte. Das professionelle Musikvideo setzte die Proteste – etwas geschönt – als friedliches, fröhliches und verbindendes Volksfest in Szene. Mohamed Mounir, einer der Granden der ägyptischen Gegenkultur, wollte da nicht abseits stehen. Zusammen mit der jungen Rockband Wust el Balad spielte er den Song „Ezzay“ ein: eine rockige Ode an die „Bewegung des 25. Januar“, wie die Proteste in Ägypten genannt werden, der Videoclip rief die Dramatik und die Gefahr jener Tage noch einmal ins Gedächtnis.

HipHop in Tunesien, Rock in Ägypten: das spiegelt die Unterschiede in den Jugendkulturen dieser Länder. Und es zeigt den kulturellen Umbruch in der arabischen Welt. Es ist noch nicht so lange her, dass Eltern und Kinder im Nahen Osten die gleiche Musik hörten. Doch in den letzten Dekaden ist die Kluft zwischen den Generationen immer größer geworden. Der arabischen Jugendrevolte ging eine Poprevolution voraus.

Dutzende arabische Musiksender sind in den letzten 15 Jahren entstanden, die ihr Programm über Satellit bis ins letzte arabische Dorf strahlen. Sie haben eine panarabische Öffentlichkeit geschaffen und Legionen von Popstars hervorgebracht, die ein neues Lebensgefühl transportieren, romantisch und materialistisch zugleich. Man kann diese leicht bekleideten Sängerinnen und die jungen Beaus, die mit süßlichen Stimmen um die Wette schmachten, leicht belächeln. Aber sie haben bei vielen ihrer Fans zweifellos den Wunsch nach persönlichen Freiheiten und einem besseren Leben genährt. Das Internet und die Handys haben Jugendlichen außerdem neue Möglichkeiten eröffnet, den engen Familienstrukturen und der sozialen Kontrolle zu entfliehen. Und wer bei einer TV-Casting-Show à la „Arabien sucht den Superstar“ abgestimmt hat, der wird sich gewünscht haben, auch einmal im richtigen Leben die Wahl zu haben.

Es ist die Popkultur, nicht die Politik, die heute junge Araber von Marokko bis Syrien und von Ägypten bis Bahrain verbindet. Auch das hat dazu beigetragen, dass der Funke der Proteste so rasch überspringen konnte. Im Windschatten der ultrakommerziellen Popindustrie sind in den letzten Jahren zudem wachsende Nischen für unabhängige Musiker entstanden. Wenn er ihnen mehr Freiräume eröffnet, könnte der politische Umbruch in Ägypten und anderswo auch die arabische Popwelt verändern und zu einer größeren musikalischen Vielfalt führen.

Viele der etablierten arabischen Popstars hat die aktuelle Protestwelle hingegen auf dem falschen Fuß erwischt. Im Netz kursieren „schwarze Listen“ jener Künstler, die sich etwa in Ägypten bis zuletzt mit dem alten Regime solidarisiert hatten. Dagegen hat sich in Syrien bislang noch kein namhafter Popstar offen auf die Seite der Protestierer gestellt, ganz im Gegenteil.

Doch wenn die Revolution gesiegt hat, will jeder dabei gewesen sein. Das gilt auch für die Superstars des arabischen Pop. Um Amr Diab, Ägyptens Ricky Martin, war es bis zum Sturz von Husni Mubarak am 11. Februar recht still gewesen. Dafür legte er mit „Masr A’let“ („Ägypten hat gesagt“) jüngst eine kitschige Hymne an die „Märtyrer der Revolution“ nach. Auch von der libanesischen Popsängerin Nancy Ajram, der Jennifer Lopez des Nahen Ostens, heißt es, sie habe ihr neues Lied dem Umsturz am Nil gewidmet. „Wahshani Ya Masr Mot“ („Ich vermisse Ägypten“) ist eine Liebesballade, die nur zufällig am Nil spielt, und wurde bereits im letzten Jahr eingespielt. Im Video dazu sieht man jetzt jedoch stolze Ägypter vor ihre Fahne stehen. Trittbrettfahren ist eben billig zu haben.