Putins Marktwirtschaft ohne Ausländer

Seit Anfang April dürfen Ausländer in Russland nicht mehr als Händler auf Märkten arbeiten. Damit will Präsident Wladimir Putin die Einwanderungspolitik regulieren. Das Ergebnis: Basare verwaisen und das Warenangebot geht merklich zurück

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Rafik steht fünf Schritte vom Obst- und Gemüsestand entfernt, an dem sich Tomaten, Paprikas und Granatäpfel zu bunten Pyramiden türmen. Aufmerksam verfolgt er, was am Stand auf dem Vorplatz der Moskauer Metrostation „Universität“ vor sich geht. Der 32-jährige Aseri aus Baku ist ein Vollblutverkäufer. Kommt Kundschaft, springt er rüber, wiegt die Ware und verwickelt den Käufer in ein Gespräch. Statt mit Rückgeld geht der Kunde mit ein paar Gurken oder Zwiebeln zusätzlich nach Hause.

Was der junge Mann mit dem markanten Goldeckzahn macht, ist seit Anfang April strafbar. Ausländer dürfen laut Verordnung Nr. 683 vom 15. November 2006 auf Märkten russische Kunden nicht mehr bedienen. Rafik fand ein Schlupfloch und wurde zu einem Unternehmer mit Händlerlizenz. Statt selbst Früchte feilzubieten, stellte er zwei russische Verkäuferinnen an. Das erlaubt die Verordnung. Noch müssten die Angestellten aber Erfahrung sammeln, meint Rafik und legt zwei Mandarinen zu den Granatäpfeln.

Der Familienvater aus Aserbaidschan kann sich noch glücklich schätzen. Einheimische Arbeiter sind rar und nur wenige Russen bereit, sich den harten Arbeitsbedingungen für geringen Lohn auf Märkten auszusetzen. Die Politik verkaufte die Maßnahme als Schritt, die Einwanderungspolitik zu regulieren. Die Zahl der etwa 11 Millionen Gastarbeiter soll auf die Hälfte reduziert werden.

Nicht unwichtig dürfte ein anderes Motiv sein: Die durch nationalistische Parolen aufgeputschte Volksseele verlangte greifbare Ergebnisse. Dieses Ziel hat die Politik verfehlt. Einheimische Händler haben nicht die gesäuberten Märkte gestürmt. In Moskau steht ein Drittel der Stände leer, in Sankt Petersburg und Smolensk sind mehr als die Hälfte der Plätze verwaist.

Besonders betroffen scheinen Sibirien und die Regionen im Fernen Osten. Fleisch, Fisch, Zucker, Speiseöl und Gemüse seien inzwischen seltene Güter, stellte die staatliche Statistikbehörde im März fest, als 40 Prozent des Marktpersonals noch ausländischer Herkunft sein durften. Fluchtartig verließen Chinesen und Vietnamesen aus Angst vor Repressalien Russlands Osten.

Auch auf dem Tscherjomuschkinski-Markt in Moskau, der zu den exklusiveren Standorten gehört, hinterließ die Verordnung Spuren. Reihen stehen leer oder sind mit Planen abgedeckt. Hier gab es Exotisches zu exotischen Preisen. In der einst vom babylonischen Stimmengewirr sausenden Halle herrscht Stille. Die wenigen Händler stehen herum und unterhalten sich.

Es gebe nichts zu tun, sagt Jusup, ein Usbeke: „Wir begrüßen jeden Kunden mit Handschlag.“ Früher saß er in der Ecke, in der nur mit Gewürzen aus Zentralasien gehandelt wurde. Jusup hofft auf einen Job als Wachmann in einem Security-Unternehmen. Die Tage des Marktes seien gezählt, vermuten viele. Kein Zufall sei es, dass der Tscherjomuschkinski ab Monatsmitte renoviert werde.

Marina sucht auch schon einen anderen Platz. Sie ist Russin, wird aber dennoch betroffen sein. Noch verkauft sie roten Forellenkaviar aus Kondopoga. Den karelischen Ort machten ethnische Unruhen berühmt. Nach Verfolgungen auf Immigranten und Kaukasier im Herbst 2006 trat Präsident Putin mit der Forderung erstmals an die Öffentlichkeit, die Märkte für die „Stammbevölkerung“ zu öffnen. Niemand sprach es aus, doch alle wussten, was gemeint war. Russland den Slawen. Die Mehrheit der Bürger war mit dem Populismus als Politikersatz zufrieden.

Doch wie lange noch, wenn Preise steigen und das Angebot ausdünnt? Konsumenten, Verkäufer, Händler – alle sind Verlierer. Auch die Ordnungsbehörden, die illegale Verdienstmöglichkeiten einbüßen, und selbst der Kreml: Die Märkte waren Beweis einer nicht gänzlich fehlgeschlagenen kolonialen Vergangenheit, auch nach dem Zerfall des Imperiums blieb Russland ein Magnet für viele Völker. Dem Reichsvolk bereitet dies Unbehagen.