„Ich staune, was die PDS mitmacht“

INTERVIEW RALPH BOLLMANN
UND DANIEL SCHULZ

taz: Herr Böhmer, viele kennen von Sachsen-Anhalt nur den Werbeslogan an der Autobahn – „Das Land der Frühaufsteher“. Stört es Sie überhaupt nicht, dass sich alle Welt darüber lustig macht?

Wolfgang Böhmer: Als ich den Satz zum ersten Mal hörte, hielt auch ich das für Blödsinn. Trotzdem hat er uns geholfen, ins Gespräch zu kommen. Nur darum geht es. Viel mehr kann eine Imagewerbung nicht bewirken.

In den vergangenen Monaten war Sachsen-Anhalt auch aus einem anderen Grund im Gespräch. In der Kleinstadt Bad Schmiedeberg haben Sie die Zahl der Arbeitslosen halbiert, indem Sie Hartz-IV-Empfänger zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichtet haben. Taugt diese Bürgerarbeit als Modell für andere Orte?

Das könnte überall funktionieren, wo Menschen arbeitslos sind. Die Leute sollen nicht nur Geld bekommen, sondern die Chance, sich in die Gesellschaft zu integrieren – dieser Grundgedanke lag schon der Hartz-IV-Reform zugrunde. Die Erfahrung lehrt: Die Beteiligten sind dafür dankbar, dass sie nicht mehr zu Hause hocken müssen, sondern etwas Nützliches tun können.

Es gibt Menschen, die eine solche Arbeitspflicht als Zwangsarbeit empfinden.

Jeder, der vom Staat Geld bekommt, schuldet ihm dafür eine Leistung. Auch das war ein Grundgedanke von Hartz IV, und dieses Prinzip haben wir jetzt endlich ernst genommen.

Heißt das, man hätte mit Hartz IV gleich die Bürgerarbeit beschließen müssen?

Das Prinzip „Fördern und fordern“ ist damals doch beschlossen worden. Wir hatten nur keine richtigen Einfälle für das Fordern. Wir dachten, das müssten Arbeitsplätze in der Wirtschaft sein.

Genau diese regulären Jobs werden durch Ihr Modell aber gefährdet, sagen Kritiker von FDP und Wirtschaftsverbänden.

Für welche Arbeit sollte das denn zutreffen?

Beispielsweise für die Pflegeheime. Auch bei den Zivildienstleistenden hieß es anfangs, sie ersetzten keine Fachkräfte. Nachher kam es anders.

Aber wenn niemand diese Arbeit in Höhe der Tariflöhne bezahlen kann, dann wird sie eben nicht getan. Wir beklagen, dass die Alten in den Pflegeheimen vereinsamen. Gleichzeitig lassen wir die Arbeitslosen zu Hause herumsitzen. Wenn es um Menschen geht, interessiert mich die Rechthaberei der Ökonomen bestenfalls zur Hälfte.

Nun hat Ihre Partei seit dem Leipziger Parteitag 2003 ein eher wirtschaftsliberales Programm. Wie passt dazu die Vorstellung von staatlicher Beschäftigungspolitik?

Ich nehme Programme mit Interesse zur Kenntnis und lasse mir von niemandem das Denken verbieten.

Einige Ihrer Parteifreunde wollen Hartz IV nicht ausbauen, sondern weiter einschränken.

Ich höre viel.

Arbeit für jeden, das klingt nach Beschäftigungspolitik à la DDR.

Selbst wenn das zu DDR-Zeiten genauso gemacht worden wäre, dann wäre das für mich kein Grund, es nicht auch so zu machen. Auf das Niveau solcher Totschlagargumente lasse ich mich nicht ein. Auch in der DDR haben Menschen versucht, mit ihren Problemen fertig zu werden – auch wenn das am Ende nicht gelungen ist.

Hat die DDR eine ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht?

Ordentlich war sie schon deswegen nicht, weil sie die Wirtschaft unabhängig von ökonomischen Zusammenhängen planmäßig steuern wollte. Das ist gründlich schiefgegangen.

Aber es gibt Elemente, die man übernehmen kann?

Bürgerarbeit ist kein Element der DDR-Beschäftigungspolitik gewesen. Dort wurde die Arbeitslosigkeit hinter die Fabriktore verlegt, was mit dafür gesorgt hat, dass die Volkswirtschaft zugrunde ging.

Neulich haben Sie im Landtag die Beschäftigungspolitik der Linkspartei gelobt. Ist das für einen CDU-Politiker nicht ziemlich ungewöhnlich?

Was Sie von mir erwarten, ist mir völlig egal. Die PDS macht sich schon lange über alternative Arbeitsmarktkonzepte Gedanken. Das habe ich im Landtag mit Respekt festgestellt, weil ich Menschen immer lobe, wenn sie etwas Richtiges tun – egal zu welcher Partei sie gehören.

Eifern Sie in Sachsen-Anhalt nun den SPD-Politikern Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt nach, die Brandenburg nach der Wende als kleine DDR erhalten wollten?

Überhaupt nicht. Ein schönes Beispiel für den Unterschied sind die Polikliniken. Die wollte Regine Hildebrandt erhalten, während wir finden, die passen nicht in ein marktwirtschaftliches System.

Aber mit den medizinischen Versorgungszentren kehrt das Konzept doch jetzt zurück?

Nur teilweise. Wir übernehmen den Grundgedanken der Zusammenarbeit und der kurzen Wege, nicht aber Organisation und Finanzierung.

Warum sagen Sie dann nicht einfach: Ja, es gibt zumindest Elemente von DDR-Strukturen, die man zu leichtfertig über Bord geworfen hat?

Weil das nicht richtig ist. Die kapitalistische Verfassung der Bundesrepublik macht ganz andere finanzielle Strukturen nötig. Wir können nur darüber nachdenken, einige Prinzipien unter veränderten Vorzeichen für uns wieder nutzbar zu machen.

Sehen Sie auch in der Familienpolitik solche Prinzipien aus DDR-Zeiten, als jedes Kind einen Krippenplatz bekam?

In der DDR wurden die Krippen vor allem deshalb aufgebaut, weil wir die Arbeitskraft der Frauen gebraucht haben. Mir haben die Mütter oft leidgetan, die morgens um sechs durch Wind und Kälte zur Krippe marschieren mussten und dann anschließend zur Arbeit. Aber dass die Frauen wenigstens das Angebot bekommen, das halte ich heute noch für richtig. Wir führen eine völlig verquere Diskussion, wenn wir so tun, als wolle der Gesetzgeber die Frauen zwingen, ihr Kind in die Krippe zu geben. Auch wenn man Eva heißt, überzeugt das nicht unbedingt.

Man muss gar nicht Eva Herman heißen. Viele Ihrer Parteifreunde sehen das ähnlich.

Das weiß ich, aber das ändert nichts an meiner Einstellung. Wer auf Krippenbetreuung angewiesen ist, der soll diese Möglichkeit bekommen. Aber nur auf freiwilliger Basis. Anders sieht das bei den älteren Kindern ab drei Jahren aus. Gerade weil wir so viele Einzelkinder haben und doch geschrieben steht: Es ist für den Menschen nicht gut, wenn er allein ist.

Und wie halten Sie es mit der Ganztagsbetreuung in der Schule?

Die schulischen Ergebnisse hängen nicht von den Organisationsstrukturen ab. Es gibt Familien, bei denen man mit schlichter Nüchternheit feststellen muss: Es ist für die Kinder besser, wenn sie außerfamiliäre Betreuungsangebote bekommen. Und es gibt andere, für die trifft das nicht zu. Deshalb gilt auch hier: Man muss Angebote machen, darf aber nicht alles über einen Kamm scheren.

Wenn man es nicht für alle macht, wird es die Bedürftigen nicht erreichen.

Es gibt auch Leute, die werden kriminell. Sollen wir deshalb für alle einen Sozialarbeiter beschäftigen? Das kann nicht Inhalt einer vernünftigen Gesellschaftspolitik sein. Die Lehrer sehen doch, wer eine intensivere Betreuung braucht und wer nicht.

Empfinden Sie sich als Rollenmodell für einstige DDR-Bürger, denen man nach der Wende gesagt hat: Eure Erfahrungen sind zu nichts mehr zu gebrauchen?

Mir hat das niemand gesagt. Wenn jemand behauptet hat, nach der Wende sei alles ganz anders, dann habe ich einfach gefragt: Erklären sie mir das doch mal. In der DDR haben viele Menschen einfach ihr Leben gelebt, ohne ständig staatstragende Grundsatzprobleme zu wälzen. Wie ist das denn heute? Wie viele Leute in Bayern oder Nordrhein-Westfalen sind sich denn über die Verschuldung der Bundesrepublik im Klaren?

Ist das eine Frage mangelnden Selbstbewusstseins?

Gelegentlich ja. Es gab auf der einen Seite Deutschlands ein D-Mark-stabilisiertes Selbstbewusstsein, und auf der anderen Seite ein ausgesprochen schüchternes Auftreten. Weil man zugeben musste, dass der Laden vor die Wand gefahren war.

Wenn Sie die Welt so unideologisch sehen: Wann erleben wir die erste Koalition zwischen CDU und Linkspartei?

Schon jetzt gibt es auf kommunaler Ebene gelegentlich ein ähnliches Abstimmungsverhalten. Was eine Zusammenarbeit auf Bundes- oder Landesebene betrifft, sehe ich in der nächsten Zeit aber keine Schnittstellen.

Was wären denn in Sachsen-Anhalt konkrete Differenzen?

Das lässt sich schwer sagen, weil die PDS in Sachsen-Anhalt noch nie in der vollen Regierungsverantwortung war. Ich staune allerdings, was die PDS in Berlin gelegentlich mitmacht, und ich habe vom Kollegen Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern gehört, dass sich mit der PDS einiges bewegen lässt.

Das klingt nicht nach einem grundsätzlichen Nein.

Die Sache steht nicht an. Vieles, was ich von der PDS im Moment höre, ist mit Positionen der CDU grundsätzlich nicht vereinbar. Aber es ist natürlich nicht auszuschließen, dass sich dies irgendwann einmal anders darstellen könnte.