Cross Dressing im Schützengraben

SCHWULES MUSEUM Die Ausstellung „Mein Kamerad – Die Diva“ beleuchtet einen übersehenen Aspekt des Ersten Weltkriegs: deutsche Soldaten in Frauenrollen in Fronttheatern und Gefangenenlagern. Das gibt es bis heute

Da die Ausstellung im Schwulen Museum stattfindet, wird die Frage nach möglicher Homosexualität im Zweifelsfall mit Ja beantwortet

VON KEVIN CLARKE

Auf den ersten Blick passt das so gar nicht zusammen: herausgeputzte Soldaten in Frauenkleidern, die mitten im großen Massensterben des Ersten Weltkriegs Possen und Operette spielen, vor applaudierenden Truppen. Aber genau das taten viele Damendarsteller an der Front und in Gefangenenlagern zwischen 1914 und 1918. Ein Aspekt, den die meisten Erinnerungsveranstaltungen zum Ersten Weltkriegs ausblenden, der aber im Zentrum der Ausstellung „Mein Kamerad – Die Diva“ steht. Sie stellt viele interessante Fragen – auch die nach der Situation von Damendarstellern in der Bundeswehr von heute.

Mit Perücken aus Rosshaar, Stroh oder Hanf und Schuhcreme als Schminke gelang vielen Damendarstellern im Ersten Weltkrieg die Illusion von Weiblichkeit so perfekt, dass Zuschauer in schwärmerische Ekstase gerieten. „Waren wir nicht zuweilen ein klein wenig verliebt in Dich Flatternde, Anmutige, die Du Verdichtung jenes Weiblichen strahltest, das vor Allem Frische und Sprudeln und Grazie des Körperlichen ist?“, schreibt der Gefangene Willi Hennings über Bodo Wildt im Internierungslager auf der Ile Longue. „Ich muß einmal von Dir geträumt haben, Du warst sehr jung in diesem Traum, trugst kurze Kleider und ich versank völlig in der Betrachtung Deiner schlanken Beine. Aber ich muß mich nun abwenden von Dir, mein Mädchen, denn ich befürchte in weiteren Geständnissen zerfließen zu müssen.“

Angesichts solcher Äußerungen des Begehrens, das auch viele Bilder von Theateraufführungen suggerieren, bei denen Soldaten Frauenrollen übernahmen, war die häufigste Frage, die Kuratorin Anke Vetter bei der Vorbereitung der Ausstellung beantworten musste: „Die sind doch nicht alle schwul, oder?“ Sie weiß es nicht, weil in vielen Fällen nichts Privates über die DarstellerInnen und ihre Bewunderer bekannt ist. Ein gewisser Dr. Reinhold Meßner betonte zwar 1931 in seinem Essay „Liebe in der Gefangenschaft“ vehement: „Viele Geschichtsschreiber der Gefangenschaft bezeichnen die zahlreichen intimen Freundschaftsverhältnisse unter Gefangenen, wie die Verehrung verschiedener ,Damendarsteller‘ der Lagerbühnen, die ja mitunter wirklich gefährliche Formen annahm, als gleichgeschlechtliche Liebe, als Homosexualität. Die Auffassung ist jedoch total unrichtig!“ Dem stehen Äußerungen wie die des Gefangenen Max Firnberg gegenüber. Er schreibt, dass es vor allem „stark feminin angehauchte“ Männer waren, die Damenrollen übernahmen. Aus Spott wurden sie „Syphilisten“ statt „Zivilisten“ getauft.

Da die Ausstellung im Schwulen Museum Berlin stattfindet, wird die Frage nach möglicher Homosexualität im Zweifelsfall mit Ja beantwortet. Denn natürlich war es eine besondere Situation, in der sich die Männer wiederfanden. Im Begleitbuch zur Ausstellung, das bei der edition text + kritik erschienen ist, weist Jason Crouthamel darauf hin, dass der totale Krieg Männern einen Rahmen für sexuelles Erleben in einer Umgebung außerhalb traditioneller Sozialstrukturen und gesellschaftlicher Kontrolle bot.

Weil der Erste Weltkrieg auch einer der ersten Medienfeldzüge der Menschheitsgeschichte war, sind fast alle Aspekte des Kriegslebens gut dokumentiert, auch die Cross-Dressing-Theateraufführungen. Teils konnten die Kuratoren im Kriegsministerium in Paris sogar Filmmaterial finden, auf denen man sieht, wie riesig das Publikum dieser Aufführungen war, mit Generälen in der ersten Reihe. Bereits in den zwanziger Jahren fing man an, sich mit dem Phänomen wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

Anke Vetter und ihr Team fragen auch, wie es heute um Cross Dressing bei Soldaten steht. Sie wandten sich an die Bundeswehr und erfuhren von Krippenspielen in Afghanistan, wo Maria von einem Mann dargestellt wurde, obwohl weibliche Soldaten zur Verfügung standen.

Kulturelle Umbrüche

Ein aufschlussreiches Interview und Bildmaterial zu diesem Punkt wurde jedoch anschließend von Vertretern der evangelischen Kirche blockiert. Aus Angst ums Image? Stattdessen fanden die Kuratoren über den Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr einen ehemaligen Hauptfeldwebel, der im Kosovo zur Truppenunterhaltung ein großes Andrea-Berg-Programm darbot. Seiner Aussage zufolge waren besonders Soldatinnen von seinem Schlager-Auftritt begeistert, ebenso junge Soldaten, die das lustig fanden und keine Berührungsängste hatten. Berührungsängste registrierte er eher bei den älteren Kollegen, die zu einer anderen Zeit sozialisiert wurden. Zeiten von intensivem Cross Dressing sind immer ein Zeichen für kulturelle Umbrüche, wo Geschlechterrollen auf den Prüfstand gestellt und neu definiert werden. Und wenn der Erste Weltkrieg eines war, dann eine Zeit des kulturellen Umbruchs: Das Frauenwahlrecht führte man in Deutschland direkt nach Kriegsende 1918 ein. Und Männer im Fummel wurden als „Tunten“ – viel geschmäht, politisch aber hochaktiv – spätestens seit den Stonewall Riots 1969 zu den Wegbereitern der modernen Schwulenbewegung.

■ Anke Vetter (Hg.): „Mein Kamerad – Die Diva. Theater an der Front und in Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs“, edition text + kritik, München, 2014, 131 S., 19,80 Euro

www.kamerad-diva.de