Interview über Behandlung von Häftlingen: "Psychisch kranke Straftäter haben keine Lobby"

Frank Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, fordert eine fachgerechte Therapie für psychisch gestörte Straftäter.

"Menschen mit psychischen Störungen sind Menschen wie Sie und ich, in dieser Hinsicht existiert in der Gesellschaft ein verzerrtes Bild." Bild: ap

Die Häufigkeit einer psychiatrischen Komorbidität, also zu einer Grunderkrankung eine weitere Erkrankung zu bekommen, ist im Gefängnis hoch. Rein statistisch leiden die Betroffenen durchschnittlich an 3,5 Krankheiten gleichzeitig. Konkret ist der Zusammenhang von substanzbezogenen Störungen und affektiven Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Borderline-Befunden besonders auffällig. Suchttherapien können in diesen Fällen nur zum Erfolg führen, wenn alle Erkrankungen in die Behandlungsplanung einbezogen werden. Ansonsten droht ein Teufelskreis, in dem sich die Störungen wechselseitig bedingen und aufrechterhalten. Viele Süchtige behandeln ihre akuten Krisen mit Heroin und anderen Drogen über Jahre selbst. Nach Ansicht von Psychiatern kann einer der "Vorteile" des Gefängnisaufenthalts sein, dass die Drogenkranken immer verfügbar sind und deshalb schneller eine therapeutische Beziehung aufgebaut werden könnte.

taz: Herr Schneider, wieso bleiben in der Haft psychische Erkrankungen unerkannt?

Frank Schneider: Die Inhaftierten werden bei Haftantritt einem Arzt vorgestellt. Das geht in der Regel sehr schnell. Dieser Arzt ist ein Allgemeinmediziner oder Chirurg - jedenfalls nach meinem Wissen nie ein Psychiater. Die Erkennensrate von psychischen Störungen durch nicht psychiatrisch ausgebildete Fachärzte ist sehr gering.

Mit welchen Folgen?

Wenn die Untersuchung ohne wesentlichen Befund abgeschlossen wird, dann steht das so in der Akte und es gibt erst mal keinen Grund, die psychische Gesundheit weiter zu überprüfen. Die Beamten sind auch nicht dazu ausgebildet, um psychische Erkrankungen im Vollzugsalltag zu erkennen. Falls ein Gefangener dann doch einem Psychiater vorgestellt wird, hat dieser kaum Einflussmöglichkeiten. Eine normale Psychotherapie ist unter den Bedingungen einer Haft schlicht nicht möglich.

Macht der Knast die Menschen also krank?

Dazu haben wir keine Daten. Wir gehen für alle psychischen Störungen von dem sogenannten Verletzlichkeits-Stress-Modell aus. Das besagt: Man muss für eine psychische Krankheit eine biologische Anlage haben. Eine Depression, Psychose oder Angststörung bricht aber nur aus, wenn sie unter Stress stehen. Der Strafvollzug kann diesen Stress auslösen. Gefangene sind isoliert, viele Stunden am Tag allein in ihrer Zelle und leben unter sehr artifiziellen Bedingungen. Sie sind völlig raus aus ihrem sozialen Umfeld. Dennoch muss man den Einzelfall untersuchen, und selbst dann kann man vermutlich auch nicht beweisen, dass die Inhaftierung der Auslöser ist.

Ihre Untersuchung lässt nur den Schluss zu, dass der Strafvollzug grundsätzlich überprüft werden muss. Rechnen Sie mit einer Reform ?

Eine Konsequenz könnte sein, dass der Strafvollzug ganz anders organisiert werden muss. Ich bin kein Ethiker, Jurist oder Politiker, aber die Frage ist doch: Ist der Strafvollzug darauf angelegt, dass die Menschen resozialisiert werden sollen? Oder geht es um Sühne? Wenn man auf die Resozialisierung abzielt, dann muss man natürlich versuchen, das Potenzial eines Menschen - und jeder Mensch hat Potenzial, egal wofür er verurteilt wurde - zu fördern. In dem Sinne, dass er wieder auf sogenannte gute Bahnen gelenkt wird.

Wie können Verbesserungen realistisch umgesetzt werden?

Sie müssen psychiatrische und psychotherapeutische Kompetenz in die Gefängnisse bringen, zum Beispiel durch die Integration von Psychiatern, Psychotherapeuten und klinisch ausgebildeten Psychologen in die ärztlichen Teams der Anstalten. Zusätzlich benötigt man einfache Mittel. Durch regelmäßige Besuche von psychiatrischen Fachkrankenschwestern oder durch Ergotherapieangebote zum Beispiel für schizophrene Patienten.

Was würde das bringen?

Gerade die Verhaltensauffälligen und Schwachen haben schlechtere Chancen im Knast, Arbeit zu finden. Sie sind nicht leistungsfähig und keiner will etwas mit ihnen zu tun haben. Aber soziale Kontakte und andere Formen der Beschäftigung sind besonders wichtig. Darüber hinaus müssen die Justizbeamten weitergebildet werden, damit sie Frühwarnzeichen bei Gefangenen richtig deuten können. Eine weitere Maßnahme könnte darin bestehen, dass man die Gefangenen vor ihrer Entlassung und danach intensiv psychiatrisch-psychotherapeutisch betreut, zum Beispiel in dem man Ambulanzen schafft für entlassene Strafgefangene oder Hausbesuche bei auffälligen Personen organisiert.

Was muss am Ende der Diskussion stehen?

Dass ein Patient im Gefängnis die gleiche leitliniengerechte Behandlung erhält wie ein Patient draußen. Menschen mit psychischen Störungen sind Menschen wie Sie und ich, in dieser Hinsicht existiert in der Gesellschaft ein verzerrtes Bild. Aber sie haben keine Lobby. Psychisch kranke Straftäter erst recht nicht, deswegen gibt es im Gefängnis auch zu viele falsche Freiräume, wie mit den Betroffenen umgegangen wird.

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