„Der Mensch ist keine Maschine“

Der Computer-Pionier Joseph Weizenbaum gilt in seiner Zunft als Dissident. Der 84-Jährige war der Taufpate des Hamburger Instituts für Informatik und hat insbesondere dessen kritischen Zweig beeinflusst. Heute wird der Dokumentationsfilm „Weizenbaum. Rebel at Work“ in Hamburg gezeigt

Geboren am 8. Januar 1926 in Berlin, wanderte Weizenbaum mit seiner Familie 1936 in die USA aus. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) war er in den Sechzigern an der Entwicklung der ersten Computer beteiligt. 1966 konstruierte er den Sprachcomputer „Eliza“, der einen Dialog simulierte. Weizenbaum war von der Wirkung seiner Maschine so entsetzt, dass er zum Dissidenten wurde und Bücher veröffentlichte wie „Computermacht und und Gesellschaft“ und „Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom“.

1971 hielt Joseph Weizenbaum die Eröffnungsrede des Informatik-Instituts der Hamburger Universität. Dabei äußerte er Kritik an der vom Menschen definierten Macht der Computer. Auf diesen Denkansatz beruft sich die in Hamburg gezielt betriebene kritische Informatik, für die auch eine Professur eingerichtet wurde. 1980/81 hatte Weizenbaum eine Gastprofessur in Hamburg inne, und vor vier Jahren wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Hamburger Informatik verliehen.

Anfang der Neunziger kehrte Weizenbaum nach Berlin zurück, wo er bis heute lebt. PS

Interview PETRA SCHELLEN

taz: Herr Weizenbaum, warum sind Sie als Jude in das Land der Mörder zurückgekehrt?

Joseph Weizenbaum: Das war Zufall. Ich bin nach meiner Emigration erstmals 1957 wieder in Deutschland gewesen. Später habe ich in Deutschland, in ganz Europa öfter Vorträge und Seminare gehalten. In den Achtzigern war ich Gastprofessor in Berlin, in Hamburg und Bonn. Zwei Jahre war ich hier, dann bin ich für ein Jahr nach Berlin gegangen, dann noch eins geblieben... So gingen die Jahre vorbei, und ich habe aufgehört, darüber nachzudenken. Ich habe nie entschieden, „zurückzukommen“. Ich bin einfach hier. Sie hätten natürlich fragen können, ob ich hier in meine „Heimat“ zurückgekommen bin.

Ich wollte das Wort „Heimat“ nicht verwenden.

Aber ich verwende es. Und ich muss sagen, ich habe tatsächlich keine Heimat. Ich empfinde mich überall als Außenseiter.

Aber gibt es nicht so etwas wie Wurzeln, wie Muttersprache?

Ja, jetzt haben Sie‘s erwischt. Denn auch ich habe natürlich oft überlegt, was mich hierher zieht und irgendwann entdeckt: Es ist die Sprache. Nicht im Sinne von Muttersprache, die man konkret mit der Mutter gesprochen hat. Nein, es ist eher eine „Wurzelsprache“ oder so etwas. Obwohl ich viele deutsche Worte immer noch nicht kenne. Über das Wort „Entsorgungspark“ habe ich zum Beispiel lange nachgedacht. Irgendwann kam ich drauf, dass das wohl der deutsche Ausdruck für „Sanssouci“ sein müsste. Und mit der Aussprache des Wortes „Schnürsenkel“ habe ich immer noch Probleme.

Sind Sie eigentlich in der jüdischen Gemeinde aktiv?

Ich bin intensiv jüdisch, aber nicht in dem formalen Sinn, dass ich zur Synagoge ginge. Aber ich bin tief im Judentum verwurzelt. Ich liebe zum Beispiel jüdische Witze, die oft sehr herb sind.

Wurde das Jüdischsein in Ihrem Elternhaus gepflegt?

Ja, natürlich. Wir waren eine jüdische Familie, und wir zählten in den Jahren, bevor wir weggingen, zwischen 1933 bis 1936, zur unteren Grenze der upper middle class in Berlin. Meine Eltern verkehrten, soweit ich weiß, ausschließlich mit Juden, was damals in Deutschland durchaus üblich war. Da gab es nicht viel Mischung zwischen den „deutschen Juden“ und den Deutschen. Ich selbst musste als Jude um 1934 das städtische Louisen-Realgymnasium verlassen und bin dann auf die jüdische Knabenschule gegangen. Dort habe ich mich mit einem Jungen befreundet, der in tiefster Armut lebte. Er kam in Fetzen gekleidet zur Schule. Eines Tages habe ich diesen Jungen nach Hause begleitet. Daraufhin ist mein Vater sehr wütend geworden: Was ich mir erlaube, mit so einen armen Ostjuden zu gehen... Das war meine erste und prägende Erfahrung mit Antisemitismus in Deutschland. Dass auf dem Weg zur Schule ab und zu ein paar Hitlerjungen pöbelten, wog dagegen nicht so schwer.

Antisemitismus unter Juden – haben Sie den auch in den USA gefunden?

Nein. Antisemitismus an sich aber schon. Als ich mich zum Beispiel in Illinois mit dem Dekan über Chancen eines Architekturstudiums unterhielt. Ich war damals bei der Army und kam in Uniform; ein amerikanischer Soldat. Der Dekan war sehr freundlich, sagte aber, dass ich nie einen Auftrag bekommen würde. Die Begründung war schlicht: „Es gibt keine jüdischen Architekten in Amerika. Das ist eine geschlossene Gemeinde.“ Ein anderes Mal besuchte ein berühmter britischer Mathematiker das Massachusetts Institute of Technology, wo ich arbeitete. Er fragte nach Norman Levinson, einem ehemaligen Studenten und sehr begabten Mathematiker. Da sagte sein Gastgeber: „Ja, wissen Sie, wir haben schon einen jüdischen Professor.“ Darauf der Engländer: „Ach so, das ist hier ein theologisches Seminar! Ich dachte, es wäre eine Universität!“

Apropos Universität: Ich würde mit Ihnen gern noch über Computer sprechen...

Ach ja?

Warum waren Sie von der Wirkung Ihres Sprachcomputers „Eliza“ so überrascht? War Ihnen nicht klar, wie gut diese Maschine sein würde?

Die Qualität war nicht das Problem. Was mich schockierte, war die Idee von Psychiatern, dass diese Maschine den Psychiater also ersetzen könnte. Man muss sich das mal vorstellen: Da steckt jemand in großen emotionalen Schwierigkeiten und spricht mit einem Computer! Wie ist das Menschenbild dessen beschaffen, der so etwas vorschlägt?

Aber es war ja ein Dialog-Computer. Zu welchem Zweck hatten Sie ihn konstruiert?

Wir forschten damals am „Conversational Programming“. Ziel sollte sein, nicht mehr stur vor sich hin zu programmieren, sondern das Programm in Kommunikation mit dem Computer zu entwickeln. Und da kam mir die Idee, den mit menschlicher Sprache zu füttern. Ich wollte mal ausprobieren, wie das ist, ein Gespräch mit einem Computer zu führen.

Und dann funktionierte es besser, als Ihnen lieb war.

Nun, ich wollte natürlich keinen automatischen Psychiater herstellen. Dafür ist der zwischenmenschliche Bereich viel zu sensibel. Was mich außerdem erschreckt hat: Wie schnell Leute, die mit Eliza konversierten, davon fasziniert waren. Und dass sie nach vier, fünf Wortwechseln mit dem Computer beteuerten: „Ich weiß, es ist eine Maschine, aber sie versteht mich!“ Sie fingen an, der Maschine die intimsten Dinge zu erzählen. Das hat mich zutiefst verstört.

Was hat dieser Schock bei Ihnen bewirkt?

Ich habe ernsthaft angefangen mich zu fragen, welche Rolle der Computer in unserer Gesellschaft spielt – und inwiefern ich dazu beitrage, dass es so ist.

Apropos: Hat das MIT, an dem Sie beschäftigt waren, im Auftrag des Militärs gearbeitet?

Nicht nur. Aber einige Departments, insbesondere die Informatik-Sektionen, wurden und werden vom Militär finanziert.

Haben auch Sie für das Militär gearbeitet?

Ich habe nie an irgendeinem Waffensystem oder Ähnlichem gearbeitet. Aber mit der Zeit zeigte sich, dass die Finanzierung großer Teil des MIT vom Militär kam. Ich kann also nicht sagen, ich hätte nie davon gelebt. Im Gegenteil. Meine ganze Karriere verdanke ich Stalin. Dem Wettrüsten und all dem. In diesem Zusammenhang wurden enorme Gelder in die Computerforschung gesteckt. Ich frage mich wirklich, wo die Computer-Technik heute stünde, wenn sie keine militärische Anbindung hätte.

Die Forschung umfasst ja auch das Phänomen „künstliche Intelligenz“. Bedeutete Sie in Ihren Augen einen Fortschritt?

Das ist sehr komplex. Die wichtigste Frage lautet: Welches ist der wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Maschine? Die Fanatiker – die „künstliche Intelligenzija“ – behaupten, es gebe keinen. Der Mensch sei eine Maschine.

Die glauben das wirklich?

Absolut! Marvin Minsky, der Papst der Informatik, hat zum Beispiel gesagt: „The brain is merely a meat machine.“ Wobei der englische Begriff „meat“ – im Unterschied zu „flesh“ – totes Fleisch meint, mit dem man machen kann, was man will. Von einer „meat machine“ zu sprechen, deutet also auf eine tiefe Verachtung des Menschlichen hin. Die Mehrzahl meiner Kollegen behaupten heute: Das Gehirn ist eine Maschine. Eine Sache. Aber wenn jemand das so sieht: Was passiert mit Begriffen wie Verantwortung, Liebe, Würde, Freiheit und all dem? Die Definition des Hirns als Maschine spricht den Menschen von jeder Verantwortung frei. Wozu übrigens auch der gerade beginnende Flirt des Computer mit der Neurologie beiträgt. Denn wenn das Gehirn aus Neuronen besteht, die den Naturgesetzen gehorchen, ist die Idee eines freien Willens Illusion. Markantes Beispiel ist jener Verteidiger, der vor einiger Zeit einen Mörder mit dem Argument entschuldigte, dass sein Gehirn eben so konstruiert sei. Vor kurzem gab es außerdem hier im Berliner Technischen Museum eine Veranstaltung zur Frage „Ist das Universum ein Computer?“ Ich war eingeladen und sagte: „Ja, kann sein – na und?“ Das ist wieder mal so ein Konstrukt, mit dessen Hilfe sich der Mensch jeder Verantwortung entledigen will.

Der Film „Weizenbaum. Rebel at Work“ läuft heute um 18.30 Uhr im Hauptgebäude der Hamburger Universität. Weizenbaum wird anwesend sein.