„Wenn das Geld regiert“

STADTTEILKULTUR Ein Theaterstück über sichtbare und unsichtbare Grenzen auf St. Pauli feiert Premiere

■ 37, führte am Schauspiel Köln Regie und arbeitet heute als selbstständige Regisseurin. Foto: Andreas Zauner

taz: Frau Gündisch, warum thematisiert Ihr Theaterstück die Grenzen in St. Pauli?

Ingrid Gündisch: Wir sind hier auf St. Pauli oft darauf gestoßen. Viele Leute reden über die unsichtbare Grenze zwischen den Einheimischen und den Touristen oder den Partygängern. Beide Seiten begegnen sich täglich. Wir haben deshalb auf ganz St. Pauli plakatiert und so unsere Laienschauspieler gefunden. Es sind Leute dabei, die hier arbeiten oder feiern, aber auch Leute, die dauerhaft im Viertel leben.

Sind Sie dabei auf Problematiken gestoßen, die Ihnen noch nicht bekannt waren?

Ja, zum Beispiel, wenn die St. Paulianer über die Kreuzfahrttouristen sprechen. Manche Menschen fühlen sich wie Schaustücke, die als echte Bewohner dieses wilden Viertels beäugt werden. Sie fühlen sich gestört von unterhaltungswütigen Touristen. Andererseits war St. Pauli auch immer ein Ort für Leute, die nur kurz da sind und sich ablenken möchten – von der Fahrt auf hoher See oder Einsamkeit auf ihrer Reise.

Der jüngste Teilnehmer ist acht Jahre alt. Welche Grenzen beobachtet ein Kind in St. Pauli?

Die Kinder haben uns erzählt, dass sie von ihren Eltern geographische Grenzen gezogen bekommen. Sie dürfen nicht in die Straßen, in denen Prostitution gegenwärtig ist. Die Kinder wissen trotzdem, was dort passiert.

Haben die älteren Teilnehmer eine Veränderung der Grenzen erlebt?

Eine 72-jährige Dame macht bei uns mit. Sie ist sehr gelassen, denn sie meint, dass St. Pauli schon immer im Wandel war. Aber einige ältere Menschen haben Angst, dass ihr Leben nicht mehr wie bisher weitergeführt werden kann, weil die Mieten immer teurer werden.

Wurden Einkommensgrenzen von den Schauspielern angesprochen?

St. Pauli gehörte immer zu den erschwinglicheren Vierteln. Aber die Mieten steigen. Manche unserer Schauspieler sind erwerbslos, manche sind voll im Beruf eingespannt. Viele von ihnen haben Angst, dass St. Pauli eindimensional wird, wenn das Geld regiert.

Gibt es auf St. Pauli neben den metaphorischen auch ganz sichtbare Grenzen?

Lange Zeit standen hier die Zelte der Lampedusa-Flüchtlinge. Da haben wir direkte Ausgrenzung erlebt, dadurch dass der Status der Menschen ungeklärt war und immer noch ist. Die Gespräche mit ihnen haben uns zu einer Szene inspiriert. INTERVIEW: NORA KOLHOFF

„Magst du Zäune?“: Premiere 19 Uhr, Hein-Köllisch-Platz