Generation Manufactum

Für einen Teil des grünen Milieus ist die Klimakatastrophe nur ein wohlfeiles Mittel, um den deutschen Unterschichten die Ästhetik des Mittelstands aufzuzwingen. Der Umwelt hilft das nicht

VON RALPH BOLLMANN

Die aktuelle Klimadebatte war schon einige Wochen alt, da luden die beiden Grünen-Chefs Claudia Roth und Reinhard Bütikofer zu einem Fototermin vor die Berliner Parteizentrale. Eine „Bannerenthüllung zum Thema Klimawandel“ wurde versprochen – und siehe da, von der Fassade des gelben Gründerzeitbaus baumelte ein Transparent mit der Aufschrift: „Klimawandel erfordert Sinneswandel.“

Nanu?, fragte sich der arglose Betrachter, hat die Ökopartei jetzt auch das Thema Ökologie entdeckt – nachdem Union und SPD, ein wenig auch FDP und Linke schon lange darüber diskutieren?

Schuld an diesem Eindruck ist keineswegs nur der Mangel an Geschicklichkeit der aktuellen Grünen-Spitze und auch nicht die Arroganz der Medien. Nein, die Grünen und mit ihnen ein ganzes akademisches Mittelschichtsmilieu haben Umweltpolitik stets auf eine Weise betrieben, auf die sie mit guten Gründen nie und nimmer mehrheitsfähig werden wird: als Mittel zur ästhetischen Erziehung des deutschen Proletariats durch das Bildungsbürgertum.

Schon die Formulierung des Grünen-Banners ist bezeichnend. Nicht auf die Taten kommt es an, sondern auf den „Sinneswandel“. Der Hartz-IV-Empfänger, der von einem verbrauchsstarken Kraftfahrzeug träumt, wird damit kurzerhand zum Sünder gestempelt – obwohl er faktisch sehr klimaschonend lebt. Der akademische Vielflieger, der wöchentlich zwischen zwei deutschen Großstädten pendelt und mehrmals jährlich kulturell wertvolle Bildungsreisen unternimmt, verhält sich dagegen richtig – sofern er nur das nötige schlechte Gewissen aufbringt und allenfalls zum Ausgleich Klimazertifikate kauft.

Überhaupt ist ausgerechnet im vermeintlich postmateriellen Milieu der Glaube weit verbreitet, alles lasse sich übers Geld regulieren. Von Verzicht ist längst nicht mehr die Rede. Alles muss teurer werden, dann wird es schon gut: Das ist der neue Glaubenssatz des grünen Milieus. Biogemüse muss teuer sein und wird misstrauisch beäugt, wenn es vom Discounter stammt. Hochpreisige Lufthansa-Flüge sind ökologisch wertvoll, Flüge mit der baugleichen Boeing 737 von Easyjet schädigen das Klima dagegen sehr. Die Küchenutensilien aus dem Kaufhaus taugen nichts, weil sie angeblich nicht lange halten; handgefertigte Einzelstücke sind gut, auch wenn sie nach ein paar Jahren aus modischen Gründen schon wieder ausgemustert werden.

Was sich die wenigsten eingestehen wollen: Diese Manufactum-Ideologie benutzt das Umweltargument als bloßes Mittel zu einem in Wahrheit ästhetischen Zweck. Weil man den alten und neuen Unterschichten nicht per Gesetz Geschmack verordnen und sie nicht davon abhalten kann, auf der Straße Büchsenbier zu konsumieren oder nach Mallorca in den Ballermann-Urlaub zu fliegen, muss man eben mit den scheinbar objektiven Daten der Ökologie hantieren.

Dabei wird gerne übersehen, dass die vielfliegende Wählerschaft der Grünen nach seriösen Studien so umweltschädlich lebt wie die Anhängerschaft keiner anderen Partei. Würde dieses Modell tatsächlich von der Gesamtbevölkerung übernommen, was man glücklicherweise nicht befürchten muss, dann wäre der Kampf gegen die Klimakatastrophe endgültig verloren.

Ein besonders krasses Beispiel für diesen Mechanismus war die Einführung des Dosenpfands durch den grünen Umweltminister Jürgen Trittin. Da wurden Einwegdosen und -flaschen für Bier kurzerhand zu schändlichen Klimakillern erklärt, während Einwegflaschen für Wein weiterhin als schützenswertes Kulturgut durchgingen. Klar, wer will seinen Barolo schon aus dem neuerdings ökologisch korrekten Tetrapak trinken? Manch ein Ballermann-Tourist hätte mit dieser Vorstellung vermutlich weniger Probleme.

Das Neue an der aktuellen Klimadebatte ist, dass der Schwerpunkt nun plötzlich auf dem ganz ungrünen Prinzip der Sparsamkeit und des Verzichts liegt. Nicht: Wie wollen wir leben?, fragt jetzt die Bild-Zeitung, sondern: Werden wir uns das Fliegen, das Autofahren, das Heizen in zwanzig Jahren noch leisten können?

Lasst die Durchschnittsdeutschen ruhig einmal im Jahr nach Mallorca oder an die türkische Riviera fliegen. Das schont die Umwelt, zumindest im Vergleich zur akademischen Vielfliegerei. Und es dient der Völkerverständigung im Zweifel viel mehr als die Kulturreisen der Akademiker, die sich ohnehin schon mit gefestigtem Weltbild auf den Weg machen. Dem Klima hilft eine solche Praxis der Bescheidenheit allemal mehr als jeder Sinneswandel in einer noch so anspruchsvollen Theorie.