Freie Radios bleiben konstant unberechenbar

Seit den 1990er Jahren wird in Berlin für ein selbstverwaltetes, für ein „Freies Radio“ gekämpft. Und dafür wird konstant mit der Medienanstalt und der Landespolitik gerungen

Vorbeikommen

Wer interessiert ist oder vielleicht auch mal mitmachen will, kommt am besten bei laufendem Radiobetrieb:

dienstags & donnerstags ab 20 Uhr bei den Radiopiloten,

Lottumstr. 10 in Mitte

oder

montags & dienstags von 11.30 bis 13 Uhr beim StudioAnsage,

Keutziger Str. 23 in Kreuzberg

Im Netz:

www.piradio.de

www.studioansage.de

www.reboot.fm

Die Szene der Freien Radiogruppen Berlins ist nicht leicht zu beschreiben. Zu hören ist sie jedenfalls seit Mai 2010 auf dem damals von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) eingerichteten Mischkanal 88vier.

Bei 88vier werden zwei konkurrierende Konzepte von nichtkommerziellem Rundfunk auf eine Frequenz gepackt: einerseits eine staatliche Dienstleistungseinrichtung, der Offene Kanal, andererseits selbstverwaltetes Radio. Mit diesem Konzept meint die mabb sowohl auf die jahrelangen Bemühungen der Freien Radiogruppen um eine eigene Frequenz als auch auf die Gesetzeslage einzugehen, die ein Freies Radio nicht explizit vorsieht.

Ihren gesetzlichen Auftrag „zur Wahrung der Möglichkeit von privatem, nichtkommerziellem Rundfunk“ entspricht die mabb mit dem Offenen Kanal Alex, einer öffentlichen Dienstleistungseinrichtung, die Sendewilligen Infrastruktur und Kurse für Radio (und TV) bietet. Das Programm wird allerdings von der Alex-Leitung festgelegt. Alex ist ganztägig per Kabel hörbar, ein Ausschnitt aus dem Programm ist fester Bestandteil von 88vier. Für dessen restliche Sendezeit werden bei jährlichen Ausschreibungen eigene Sendelizenzen vergeben.

Das einstweilige Ergebnis: Im Moment halten neben Alex fünf „88vier-Partner“ eigene Sendelizenzen. Diese „Partner“ sind aber selbst nur Konglomerate von vielen Redaktionsgruppen und Einzelpersonen, die verschiedenste Sendungen machen.

Einer davon repräsentiert dabei am stärksten jene Gruppen, die für ein eigenes Freies Radio kämpf(t)en: Pi Radio. Das ausführliche Redaktionsstatut auf seiner Webseite und die Uneinheitlichkeit seines Programms (da möglichst alle Sendewünsche berücksichtigt werden) legen davon Zeugnis ab. Und auch die Tatsache, dass es im Herbst letzten Jahres in den bundesweiten Bund Freier Radios aufgenommen wurde.

Pi Radio ist ein Sammelbecken, nach eigenen Angaben über 50 Redaktionen. Die kämpften lange für ein „Freies Kulturradio“, sendeten im Rahmen von temporär erlaubten Veranstaltungsradios und bewarben sich dann zusammen um 88vier-Sendezeit.

Andere solcher Gruppen von damals bewarben sich unter dem Dach von Reboot.Fm. Nun ist sowohl bei Pi Radio als auch bei Reboot.Fm die Unzufriedenheit mit 88vier groß. Jeweils nur zweimal pro Woche von 20 bis 6 Uhr senden zu können sei ein unhaltbarer Zustand. Die nächtliche Zeit ist in verschiedener Hinsicht denkbar ungeeignet für die Ausstrahlung eines auf Eigenmotivation basierenden Radios, dessen Inhalte ohne Bezahlung erstellt und moderiert werden. Dazu kommen: wenig Publikum, hohe Hürde für Studiogäste und eventuell keine S-Bahn für den Nachhauseweg.

Dabei ist der analoge Empfang auch noch schlecht: Der schwache Hauptsender steht in Kreuzberg und kommt schon jenseits des Alexanderplatzes kaum noch durch, nicht zuletzt wegen der starken Antennen auf dem Fernsehturm. Das Publikum der Freien befinde sich aber vor allem in Pankow und Friedrichshain, wo es eine entsprechende „Kulturszene“ gebe, bedauert Guido Plonski von Reboot.Fm. Darüber wird auch bei Pi Radio schon immer geklagt.

Trotzdem gibt es weiterhin ein Übermaß an sendewilligen Gruppen. Zwar sind sowohl Pi Radio als auch Reboot.Fm weiterhin offen für Sendungs- und Mitarbeitsangebote jeglicher Art, doch der Ansturm auf die nicht allzu späten Sendezeiten ist viel zu groß. Somit könnten viele Redaktionen nur eine Stunde im Monat senden, andere stünden gar nur auf einer Warteliste, so Pi Radio.

Dem begegnet ein offener Brief auf ihrer Webseite, in dem Strukturreformen vorgeschlagen werden. Steffen Meyer von der mabb kann sich immerhin mit dem Vorschlag anfreunden, dass sich die Freien Gruppen selbst koordinieren und intern Sendezeiten verteilen, was – nebenbei gesagt – immerhin eine Keimform für ein selbstverwaltetes Freies Radio sein könnte. Auch Meyer sieht bei 88vier derzeit „eher ein Nebeneinander als ein Miteinander“.

Ob mittelfristig ein ganz großes Miteinander auf einer eigenen Frequenz möglich sein wird, liegt in der Hand der Regierungen von Berlin und Brandenburg. Deren Fraktionen schweigen allerdings seit Herbst zu einer Anfrage von Pi Radio.

Pi, die unberechenbare Konstante – dieses Merkmal war einer der Gründe bei der Namensgebung von Pi Radio. Die Chancen für ein Freies Radio bleiben derweil konstant unberechenbar. RALF HUTTER