Grimassen schneiden am Lichttisch

COMIC Pubertierende, Außerirdische und einsame Frauen in der Reihenhaussiedlung: In ihrem ersten fetten Comic „Alien“ baut Aisha Franz ein skurriles Universum. Porträt der jungen Zeichnerin aus Berlin

VON NINA APIN

Ein Gefühl von Verlorenheit: Das hat man sofort vor Augen in „Alien“, dem gleichnamigen Comic von Aisha Franz. Ein kleines Mädchen versteckt einen Außerirdischen im Kinderzimmer, ihre große Schwester kapselt sich mit Sex-und Ausreißerfantasien von ihrer Umgebung ab. Isoliert und unglücklich trauert die Mutter ihrem verlorenen Lebensglück nach. Drei Frauen in einer Reihenhaussiedlung zeichnet Aisha Franz, jede gefangen in ihrer Innenwelt, alles in grau verwischtem Bleistiftton.

Die Autorin, denkt man, muss wissen, wovon sie spricht. Eine unglückliche Kindheit vielleicht, mindestens die einer verschrobenen Einzelgängerin.

Aisha Franz öffnet die Tür ihrer Wohnung in Berlin-Neukölln. Schwarze Brille, schwarzes kurzes Haar, schmale Silhouette – auf den ersten Blick wirkt sie wie eins ihrer Comicmädchen. Aber ihr strahlendes Lächeln und die Sonne, die durch ihre Altbauidylle – Freund am Küchentisch, Kaffee auf dem Herd – scheint, verscheucht sogleich die Vermutung, dass Franz’ melancholische Story in ihrer eigenen Biografie begründet ist. Im Zimmer der 27-Jährigen, die erst vor wenigen Monaten nach Berlin gezogen ist, hängt derbe Kunst an der Wand – „Shit is real“ steht neben einer kotfarbenen Abstraktion –, dazu ein rotes Sofa, ein aufgeräumter Schreibtisch. „Ich versuche, meinen Arbeitsplatz frei von Chaos zu halten“, sagt Franz, fast entschuldigend, als ob Unordnung kennzeichnend sei für eine Comiczeichnerin.

Aisha Franz arbeitet an einem winzigen selbst gebauten Lichttisch, abends, wenn die Sonne nicht stört. Erst vorzeichnen, schnell, intuitiv, so wie ihr die Figuren und Geschichten in den Kopf kommen. „Dazu muss ich alleine sein – ich schneide beim Zeichnen immer die Gesichter meiner Figuren nach und rede mit ihnen“, sagt sie und zieht eine Grimasse. Das spätere Nachzeichnen am Lichttisch erledige sich dann leichter in Geselligkeit.

Über der Arbeitsecke, in der Franz in letzter Zeit ziemlich viel Zeit verbracht hat, hängt das Filmplakat von „E. T.“, freundlich lächelt der schrumpelige Außerirdische in den Raum. „E. T. hat mich sehr geprägt“, erzählt Franz. „Ich habe als Kind sogar einen Außerirdischen-Club gegründet, in dem ich einziges Mitglied war. Aber ich habe dann doch nie einen getroffen.“ Eine Einzelgängerin mit wechselnden imaginären Freunden sei sie gewesen, aber nicht unglücklich.

Der Vater, ein chilenischer Ingenieur, ist oft versetzt worden, die kolumbianische Mutter und die nach einem Babyelefanten aus dem Fernsehen benannte Aisha sind stets hinterher gezogen, von Franken über Bayern nach Hessen.

Die Übergangsphase

Blühende Fantasie, oft abwesender Vater – hier erschöpfen sich schon die Parallelen zur kleinen Comic-Schwester namens „Mädchen“. Mädchen und ihre Schwester befinden sich aber „in einer Übergangsphase: die kleine steht unmittelbar vor der Pubertät, die große hat die Schule beendet und steht vor einer ungewissen Zukunft. An diese beiden Einschnitte kann ich mich noch ganz gut erinnern“, sagt die Autorin.

Während die ältere Schwester mit Sex und Zigaretten die Rebellion versucht, wendet sich „Mädchen“ der Kommunikation mit Erbsen, Grashalmen und dem ihr zugelaufenen Gummiwesen aus dem All zu. Nur die Mutter Doris, eine pummelige Frau mit Lesebrille und praktischer Kleidung, scheint allein, gefangen zwischen Küche, Supermarkt und dem Fernseher im Wohnzimmer, aus dem ein jüngeres Bild ihrer selbst steigt, um sie zu verhöhnen: „Ich bin diejenige, die du nicht geworden bist … berühmte Schriftstellerin, erfolgreiche Professorin, unabhängig, beliebt, intellektuell und dabei auch noch unglaublich gut aussehend“, spricht die Erscheinung.

Alles sei so gekommen, weil Doris damals nicht zum Supermarkt „Caruso“ ging, sondern zu „Super B“. Wo sie dann den Mann kennenlernte, der im Comic nur auftaucht, um mit seinen widerstrebenden Töchtern in Urlaub zu fahren. „Für die Mutter ist es irgendwie zu spät – die kommt da nicht mehr raus“, sagt Franz. Sie bedauere das, aber für eine alleinerziehende Frau in mittlerem Alter sei ihr einfach keine Aussicht auf Besserung eingefallen. „Die Mutter ist wahrscheinlich die unrealistischste Figur – sie ist so eine Art Schreckgespenst, eine Negativfigur für Frauen in meinem Alter“, sagt sie schuldbewusst und murmelt etwas von einer Fortsetzung.

Eine schrullige Coming-of-Age-Geschichte, in betont naiver Bildsprache aus weiblicher Perspektive erzählt – „Alien“ und seine Schöpferin stehen für einen neuen Typ Independent-Comic, als dessen US-amerikanischer Prototyp Daniel Clowes’ erfolgreiche und verfilmte Freundinnengeschichte „Ghost World“ gelten darf. Aisha Franz ist kein Comicnerd, eigentlich wollte sie Trickfilmerin werden, erst während des Studiums der visuellen Kommunikation in Kassel merkte sie, dass ihr das Comiczeichnen den besten Zugang für das bot, was sie erzählen wollte.

Dass ihre erste längere Erzählung, die sie als Abschlussarbeit einreichte, gleich das Interesse des renommierten Berliner Kleinverlags Reprodukt weckte, führt sie selbst auf die jüngsten Entwicklungen im Comicmarkt zurück: Die Szene sei vielfältiger geworden, offen auch für Quereinsteigerinnen wie sie, die sich erst seit Kurzem für Comics interessierten.

Dass ihr schlichter Strich gelegentlich aus der Not geboren ist, gibt Aisha Franz freimütig zu. Dass etwa ihre Autos aussehen wie Pappschachteln auf Rädern, liege daran, dass sie einfach keine Autos zeichnen könne. Schlecht gezeichnet finden kann man „Alien“ allerdings nur, wenn man das Buch an den realismusversessenen Comics der Mainstreamproduktion misst. Die „Alien“-Welt ist in ihrer scheinbaren Hingekritzeltheit präzise, eine in sich stimmige Bildwelt – kein Dilettantismus, sondern Kunsthochschule.

Mit der Szene verlinkt

Das heißt nicht, dass Franz von der Uni in den Erfolg hineingeschlittert ist. Während sie noch an ihrer Abschlussarbeit saß, reiste sie mit einem selbst kopierten Dummy zum Comicsalon in Erlangen und klapperte die Verlage ab. Ihren ersten Erfolg im Geschäft flankiert sie mit der Mitarbeit in diversen Kleinprojekten: Sie veröffentlicht in den Anthologien Orang und Kus(S) und hat sich als Gründungsmitglied des Selbstverlegerkollektivs „The Treasure Fleet“ in die Berliner Comicszene eingeklinkt.

„Einen Plan B habe ich nicht“, sagt sie bestimmt. „Ich will mein Geld als Comicautorin und Illustratorin verdienen – etwas anderes kommt nicht in Frage“. Für das Programmheft des Comicfestivals „Reality Kills“ im Gorki Theater in Berlin steuerte sie eine Geschichte bei. Dass ihr Beitrag „Krrrrrrr“ prompt zensiert wurde – bei einem Blowjob zwischen zwei Männern wurde ein Penis unkenntlich gemacht –, amüsiert sie sichtlich. „Ist doch schön, dass es im Comic noch ein paar Tabus zu geben scheint“, grinst sie. „Man ist jetzt eben im Mainstream angekommen und muss an die Zeitungsabonnenten mit Kindern denken“. Fröhlich zwinkert sie herüber zur Arbeitsecke, wo in direkter Nachbarschaft zu E. T. ein transparenter Dildo in der Sonne leuchtet.

Aisha Franz: „Alien“. Reprodukt Berlin, Januar 2011, 208 Seiten, 16 Euro